Prinzentod
schlimmer.« Brigittes Gesicht verschließt sich, ihr Lächeln verschwindet und ihr Blick wird wachsam. Ich lasse mich nicht beirren, sondern versuche daran zu denken, was ich mir vorgenommen habe. »Noch dazu, dass dir das Ganze wie ein Déjà-vu-Erlebnis vorkommen muss...«, füge ich tapfer hinzu. »Wie meinst du das?«, fragt sie. »Dein erster Mann ist doch auch schon durch einen Unfall gestorben. Das war bestimmt schrecklich.« Sie nickt. »Gehen wir auf die Terrasse?«, schlägt sie vor und läuft los. Wir setzen uns unter die Markise. Nach dem Regen in der Nacht ist es noch schwüler als zuvor. Ich weiß nicht, ob meine Haut nass von Schweiß oder Luftfeuchtigkeit ist. »Es ist immer schwer, wenn jemand stirbt«, sagt Brigitte. »Für die Kinder war es besonders dramatisch damals.« »Ja, als Mama starb, war es für mich auch schlimm...« Brigitte sieht mich mitleidig an. »Vermisst du sie sehr?«, fragt sie. »Ich weiß nicht einmal mehr, wie sie ausgesehen hat. Ich kenne nur die Fotos, aber ob ich eine eigene Erinnerung habe? Ich glaube nicht.«
»Du warst eben noch zu klein.« Ich traue mich nicht, sie direkt zu fragen. Wie stelle ich es nur an, auf diesen Beifahrer zu kommen? »Ich denke immer, dass ein Unfall etwas anderes ist«, versuche ich es. »Papa konnte sich noch von Mama verabschieden. Aber ein Unfall? Noch dazu, wenn mehrere Menschen dabei umkommen.« Brigitte schaut mir fest in die Augen. »Der Geisterfahrer hatte zum Glück keine Angehörigen mehr.« Obwohl mir klar ist, dass dieser Blick mich daran hindern soll weiterzubohren, wage ich es. Ich habe schließlich nichts zu verlieren. »Und wie war das mit dem Beifahrer?« Brigitte faltet ihre Hände, so als müsste sie sich sehr beherrschen. »Lissie, ich verstehe, dass du durcheinander bist. Aber das gibt dir noch lange nicht das Recht, in meinem Leben herumzuschnüffeln.« »Ich, ich, äh...«Mir fällt nichts ein. Oh Gott, wie winde ich mich da nur wieder raus? Mein Telefon klingelt. Endlich habe ich auch mal Glück. »Entschuldige, vielleicht ist es Papa . . .«, behaupte ich und renne in mein Zimmer. Es ist Tabea, die wissen will, warum ich gestern angerufen habe und wo ich stecke. Ich frage sie, ob es sein kann, dass sie mich schon öfter hier angerufen hat. Da lacht sie ungläubig und fragt mich, ob ich sie für dumm verkaufen will. Sie hätte sich die Finger wund gewählt, mir ständig aufs Band gesprochen, aber ich hätte nicht ein Mal zurückgerufen und mein Handy würde ich wohl auch nicht abhören. »Moment mal«, mir fällt etwas ein, »du hast doch meine neue Handynummer noch gar nicht.« »Doch. Die hat mir Bernadette gegeben. Die geht wenigstens ans Telefon.« Mir wird ganz elend. »Und welche Nummer ist das?«
»Was soll denn die blöde Frage schon wieder?« Ich beschwöre sie noch einmal und die Nummer, die sie dann nennt, ist nicht meine. Ich denke an Brigitte, die auf der Dachterrasse sitzt. »Tabea, ich muss unbedingt mit dir reden. Ich brauche Hilfe.« Tabea schweigt. »Bitte!« »Gut«, stimmt sie schließlich zu. »Morgen nach der letzen Stunde gehen wir zusammen zum Mäcki, okay?« Ich bedanke mich überschwänglich, lege auf und laufe zurück zu Brigitte, die mittlerweile aufgestanden ist. »Ich muss los«, sagt sie leichthin. »Aber vorher werde ich dir noch verraten, was du so unbedingt wissen wolltest. Sonst glaubst du noch, wir hätten hier schreckliche Geheimnisse zu verbergen.« Sie zupft ein paar welke Blätter an den Rosen ab. »Paul hat unser Au-pair-Mädchen vom Flughafen abgeholt. Sie war dreiundzwanzig Jahre alt und ja, sie hatte Angehörige. In Amerika.« Sie schaut mich so durchdringend an, dass ich mich plötzlich schäme. In der Tür drehe ich mich noch einmal um. »Weißt du, ich habe Paul so sehr geliebt«, sagt sie leise. »Als ich ihn verloren habe, ist meine Welt zusammengebrochen. Der Altersunterschied zwischen uns hat damals überhaupt keine Rolle gespielt. Deswegen habe ich es auch verstanden, dass du dich in diesen Lehrer verliebt hast.« Ich höre die Trauer in ihrer Stimme und komme mir furchtbar schäbig vor. »Das alles war sicher sehr schlimm.« Ich stottere mehr, als dass ich rede. »Manchmal ist das Schlimmste für alle das Beste. Aber um das zu verstehen, musst du noch älter werden.« Sie macht die Tür auf und einen Moment später ist sie verschwunden.
27. Kapitel
M eine Gedanken drehen sich nur im Kreis, ich weiß, dass ich dringend hier rausmuss, und sei es nur zum
Weitere Kostenlose Bücher