Prinzentod
Lachen bringen, damit sie nicht weggeht.« Violetta lacht jetzt zum ersten Mal. Künstlich und tatsächlich sehr theatralisch. »Alles, selbst die Lüge dient der Wahrheit, Schatten löschen die Sonne nicht aus... sagt Kafka.« »Warum zitierst du das jetzt?«, frage ich.
Sie zuckt mit der Schulter. »Weil du angedeutet hast, dass meine Erinnerungen nicht der Wahrheit entsprechen.« »Das wollte ich nicht.« Ich nehme einen Schluck von meiner Zitrone. »Komisch, ich erinnere mich nicht daran, wie es meinem Vater ging, als meine Mutter gestorben ist.« »Deiner hat dir wenigstens eine Stiefmutter erspart.« »Ich verstehe immer noch nicht, warum du so auf Kai herumhackst. Er hat sich doch wirklich Sorgen um dich gemacht wegen dieser Drogengeschichte. Und dich nicht an Brigitte verpetzt.« Ich merke, dass ich langsam müde werde und ruhig. Ob Vio etwas in meine Zitrone getan hat? »Es war komisch, so einen jungen Stiefvater zu kriegen. Wir dachten, er will bloß an Mamas Kohle ran. Und dass er Mama betrogen hat, das war nur zu offensichtlich. Du warst nicht die Erste und wärst auch nicht die Letzte geblieben, Herzchen.« Ich will mich damit jetzt nicht beschäftigen, ich möchte den Gedanken verdrängen, nicht an die Mails denken. Außerdem bin ich müde, so müde, ich will eigentlich nur noch schlafen. »Und dein richtiger Vater war da anders?«, frage ich. »Keine Ahnung. Ich glaube schon. Er war viel älter als Mama. Jedenfalls weiß ich, dass er wahnsinnig stolz auf Nico war. Für Bernadette dagegen hatte er nicht so viel übrig.« Sie sieht mich von der Seite an. »Hey, du schläfst ja gleich im Sitzen ein. Komm, lass uns ins Bett gehen.« Ich kann schon gar nichts mehr sagen, so müde bin ich mittlerweile. Ich stelle mein Glas ab, schaffe es gerade noch, zu meinem Bett zu taumeln, und kaum berührt mein Kopf das Kissen, versinke ich in tiefen Schlaf.
26. Kapitel
A m nächsten Morgen wache ich von einem ungewohnten Geräusch auf. Es regnet, doch es ist dadurch nicht kühler geworden, sondern treibhauswarm. Auf dem Weg zum Klo komme ich am Bad vorbei. Plötzlich fällt mir schlagartig alles wieder ein, was gestern Abend passiert ist. »Vio?«, rufe ich und schaue in Bernadettes Zimmer nach. Doch da ist weder Violetta noch ihre jüngere Schwester. Das Bett ist ordentlich gemacht, die Stofftiere sind auf der Decke aufgereiht. Ich betrachte die Diddlmaus, die auf dem Sessel sitzt, und mir kommt ein übler Verdacht: Violetta hat den Stoff gesucht und ist damit abgehauen. Und tatsächlich: Der Bauch ist leer. Darum hat sich Violetta also so um mich bemüht: damit sie hierbleiben und in aller Ruhe die Wohnung durchsuchen konnte. Trotzdem wundert es mich, dass sie dieses Versteck gefunden hat. Ich wäre nie im Leben darauf gekommen, im Bauch der Maus nachzuschauen. Als ich in die Küche komme, kann ich kaum glauben, dass es bereits zehn Uhr ist. Wie konnte ich so verschlafen? Auf dem Küchentisch finde ich einen Zettel. »Hi Lissie«, steht da in Bernadettes Schrift geschrieben. »Du hast so fest geschlafen, dass ich es nicht übers Herz gebracht habe, dich zu wecken. Ich werde mir für die Biesler eine Entschuldigung einfallen lassen, von wegen, dass dich Kais Tod in unserem Haus so mitgenommen hat. Die fließt bestimmt über vor Mitleid, wenn sie mich sieht.« Bernadette hat einen Smiley dahinter gesetzt. »Bis heute Nachmittag. Küsschen, Bernadette.« Am Schluss steht noch ein PS: »Sorry, dass ich gestern Abend doch nicht gekommen bin. Nico ging es ziemlich beschissen. Könntest du einkaufen? Wir haben fast nichts mehr im Haus.« Ich lasse den Zettel liegen, hole mir eine Schale und schütte Müsli hinein. Ja, ich werde heute schwänzen. Es gibt so vieles, das ich klären muss. So vieles, um mein Leben wieder zurückzubekommen. Und einen Anfang werde ich damit machen, dass ich endlich etwas esse. Ich finde noch einen letzten Rest H-Milch in dem fast leeren Kühlschrank, neben einer halben Zitrone und etwas vertrocknetem Käse. Bernadette hat recht, wir müssen wirklich dringend einkaufen. Nach dem Frühstück laufe ich in mein Zimmer. Zuerst wähle ich die Vorwahl für Italien und dann die Nummer, die Tante Stella mir gegeben hat. Das Krankenhaus meldet sich, doch Nonna ist in einer Behandlung. Deswegen rufe ich Tante Stella an. Stella hat heute mehr Zeit als gestern und versorgt mich mit vielen Details: wie sehr Oma die Kompressionsstrümpfe hasst und dem Pflegepersonal das Leben schwer macht, dass im Bett neben
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