Prinzentod
war auch sehr, sehr hart. Aber man muss manchmal die Wirklichkeit abbilden, um die Wahrheit aufzuzeigen.« Und ich kann es kaum fassen, wie normal er sich anhört, gar nicht verrückt. So überqueren wir die halbe Festwiese. Erst da nähert sich ein weißhaariger korpulenter Mann und zwingt uns, stehen zu bleiben. Meine Hoffnung! Ich versuche alles Flehen in meine Augen zu legen, aber es ist schwierig, so schwierig. Gib nicht auf, Lissie! Dieser Mann ist deine Rettung! Ich schaue ihm voll in die Augen. »Junger Mann«, sagt der Alte. »Ja?« Nico gibt sich völlig gelassen. »Ist es nicht viel zu dunkel? Bei diesem Wetter kriegen Sie das doch gar nicht wirklich drauf, oder?« »Danke, dass Sie mir da helfen wollen. Aber wir haben ein superlichtempfindliches Aufnahmegerät. Und für später, wenn wir an der Bavaria sind und die härteren Sachen aufnehmen, haben wir uns noch eine Spezialkamera von der Bundeswehr ausgeliehen. Die unterstützen unsere Schulaktionen immer sehr großzügig. Letztes Jahr haben sich sogar einige bereit erklärt, als Statisten mitzumachen.« Gott sei Dank! Diesen Schwachsinn wird wohl niemand im Ernst glauben. Die Bundeswehr, dass ich nicht lache! Der Mann nickt, nachdenklich klopft er Nico auf die Schulter, »Hut ab, junger Mann. So muss man arbeiten! Auf alle Eventualitäten vorbereitet sein. Viel Spaß noch!«
Meine Knie zittern vor lauter Enttäuschung, ich versuche mit dem Knäuel Socken im Mund zu schreien, doch es ist unglaublich, nicht mal ein leises Gurgeln kommt dabei raus. Nico zerrt mich weiter über den Platz. Erst denke ich, dass es in die Wohnung ins Westend geht, aber ich habe mich getäuscht. Nach ein paar Minuten merke ich, dass der Weg vertraut ist. Wir gehen zu unserer Schule. Was zum Teufel will er denn dort? Bernadette fällt mir ein und das, was Brigitte über sie gesagt hat, vor laufender Kamera, sodass Nico alles mitbekommen hat. Sie war das Kind, das Brigitte geliebt hat, die süße kleine Bernadette. Wo war Bernadette vorhin? Warum war niemand im Haus? Ich schaue zum Himmel, aber die dunklen Wolken hängen zu tief, sodass ich die Uhrzeit nicht einmal schätzen kann. Ich überlege, ob ich den Spieß umdrehen und an der Hundeleine zerren könnte, vielleicht gelingt es mir, Nico aus dem Gleichgewicht zu bringen. Die Leine ist um sein linkes Handgelenk gewickelt, rechts ist die Kamera. Ich denke nicht lange darüber nach, sondern tue es einfach, bevor mich der Mut verlässt. Abrupt mache ich halt, greife blitzschnell nach der Leine und ziehe mit aller Kraft daran. Da! Er taumelt! Die Kamera gleitet von seinen Schultern. Aber er lässt die Leine nicht los, sondern zerrt sie zu sich, für einen Moment schnürt er mir derart die Luft ab, dass mir schwarz vor Augen wird. Plötzlich höre ich das Quietschen von Fahrradbremsen. »Was macht ihr denn da eigentlich?«, fragt eine zierliche junge Frau und springt von ihrem Hollandrad. Ihr Ton ist voller Missbilligung.
Endlich meine Chance! Nico hat sich schon wieder aufgerichtet. »Ja, es sieht furchtbar aus«, säuselt er. »Wir arbeiten an einem Video über Gewalt gegen Frauen, wir sind vom Petrarca-Gymnasium. Darf ich Sie auch filmen?« Er geht einen aggressiven Schritt auf die Frau zu, hält meine Leine aber fest. Die Frau ist unwillkürlich nach hinten ausgewichen, lässt sich aber nicht beirren. »Was soll denn das? Nimm sofort den Mundknebel raus. Ich möchte, dass mir dieses Mädchen selbst bestätigt, was du behauptest.« Nico sieht sie entschuldigend an. »Das wird schwierig. Sehen Sie, wir haben ewig an der Maske gearbeitet, das würde alles wieder kaputt machen.« Er legt die Stirn in Falten. »Vielleicht könnten Sie ihr Fragen stellen, bei denen sie mit Ja oder Nein antworten kann. Dann kann sie den Daumen hoch-oder runterstrecken.« Er wendet sich mir direkt zu. »Lissie, bist du mit mir in der Film-Projektgruppe? Bist du einverstanden, dass wir hier zusammen unseren Film über Gewalt an Frauen drehen? Oder sollten wir lieber deine Rolle Brigitte überlassen?« Seine Lippen sind zu einem Lächeln verzogen, er findet die Drohung offenbar furchtbar amüsant. Die Frau kommt näher. »Machst du das wirklich freiwillig?«, fragt sie mich. Wie reagiere ich denn jetzt? Nico sieht lässig auf die Uhr. »Komm schon, Lissie. Wir dürfen die anderen nicht so lange warten lassen. Vielleicht sind sie dann schon weg.« Was soll das denn heißen? Das mit Brigitte habe ich ja noch verstanden, aber was soll »weg« bedeuten. Wer
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