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Prinzentod

Prinzentod

Titel: Prinzentod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrix Gurian
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ein Hund seine Zähne hineingeschlagen und würde nicht mehr loslassen. Ich sollte den Knebel wieder in den Mund stecken, um mein Wimmern zu unterdrücken, aber ich habe keine Zeit, ich muss vorwärtskommen, schneller. Von Weitem sehe ich die Scheibe schimmern. Nie hätte ich gedacht, wie erleichtert ich einmal angesichts eines normalen Kiosks sein könnte. Ich schleiche mich näher heran. Okay, jetzt muss ich nur noch hinter die Scheibe kommen. Ich setze mich auf den Ausgabetresen und rüttele vorsichtig am Glas.
    Es klappert, ich fühle mit den Händen, ob irgendwo am unteren Rand ein Schloss ist, so wie an den Türen der Ladengeschäfte in der Fußgängerzone. Nichts. Ich taste die Scheib e ab, sie bewegt sich keinen Millimeter . Da kommt mir ein Gedanke. Ich nehme den Knebel, glätte di e beiden dicken Frotteesocken und stülpe sie über meine rechte Hand . Nein, schlechte Idee. Was, wenn das schiefgeht? Lieber di e linke . Zwei übereinander, dann schlage ich zu. Dein Leben, Lissie , es geht um dein Leben, los ! Lächerlich. Beim ersten Mal passiert gar nichts. Wie blöd , dass ich die Schuhe ausgezogen habe. Mit denen wäre es ei n Kinderspiel gewesen . Noch mal ! Doch als ich die Hand hebe, halte ich inne. Ist da nicht ei n Schleichen im Gang? Kommt er schon ? Es knackst wieder . Gut . Er ist immer noch im Sekretariat, also gib Gas, Lissie ! Ich schlage, so fest ich kann, es scheppert, als hätten zwe i Laster ein Schaufenster gerammt, deshalb höre ich erst nac h einem kurzen Moment, wer da spricht. Es ist nicht Nico, sondern Brigitte . »Lissie«, stammelt sie, »Lissie, mach, was er sagt. Alles ander e wäre Wahnsinn, glaub mir! « Fast hätte ich aufgeschrien. Insgeheim habe ich immer noc h gehofft, dass er blufft. Aber er hat tatsächlich Brigitte . Es geht nicht mehr nur um mich . Ich denke nicht groß nach, sondern schiebe die Scherben zu r Seite und greife über die Theke nach unten, in die Schublad e mit dem Wechselgeld .
    Bitte, bitte. Die Schublade geht auf. Ich greife hinein, taste in der Schublade herum, und als meine Fingerspitzen etwas hartes Kaltes berühren, könnte ich heulen, so erleichtert bin ich. Jetzt muss ich nur noch zum Telefon. Ich stopfe alles, was ich greifen kann, zur Hundeleine in meine Hosentasche, dann klettere ich von dem Ausgabetresen und trete...oh nein, ich unterdrücke einen Schmerzensschrei, ich bin mit dem linken Fuß in Scherben getreten. Wie konnte ich nur so blöd sein und meine Schuhe ausziehen! Um mich herum glitzern die Glassplitter. Vorsichtig lasse ich mich auf die Knie nieder, ziehe an jede Hand eine Socke und schiebe damit die Scherben weg, krieche dann über die freie Fläche, bis meine Hände keine Scherben mehr fühlen. Dort richte ich mich auf und humpele los. Links kann ich nur auf der Außenkante vom Fuß gehen, weil der Druck die Scherbe im Fuß weiter hineintreibt. Mein rechtes Bein strahlt eine unglaubliche Hitze aus, überhaupt ist mir heiß. Am liebsten würde ich mich auf den kalten Linoleumboden legen und schlafen. Weiter, Lissie, weiter. Der Flur erscheint mir endlos lang, alle paar Meter bleibe ich stehen, lehne mich an die Wand, um kurz auszuruhen. Es ist ganz nah, gleich Lissie, gleich hast du es geschafft! Da, die Treppe unter der Aula. Der altmodische Fernsprecher, den eigentlich nie jemand benutzt. Alle haben Handys. Ich verharre kurz, schaue mich um. Nico ist sehr schlau, in der Zwischenzeit hat er sich bestimmt zusammengereimt, wo ich hinwill. Ich hole die Münzen aus der Hosentasche, meine Hände zittern derart, dass sie durch meine schweißnassen Finger durchrutschen.
    Konzentrier dich, Lissie, du musst die Dinger doch nur noch einwerfen. Und dann, wen rufst du denn an? Papa, ja, am liebsten Papa. Spinn nicht rum, Lissie, los, wen rufst du an? Tabea? Welche Handynummer hat die noch einmal? Nein die Polizei, 112 oder 110. Und da sehe ich verschwommen die Notrufinfo. Ich habe wertvolle Zeit damit verschwendet, Münzen zu suchen! Mein Hirn muss etwas abgekriegt haben. Mit zitternden Fingern tippe ich die 110. Ja, jemand nimmt ab, sagt etwas, redet, redet, redet, endlich bin ich dran, ich stammele: » Bitte, Sie müssen, bitte, Schule«, stottere ich, weil mir die Worte fehlen, ich bin nur noch Schmerz. »Sie müssen sofort...« In diesem Augenblick legt sich ein Arm um meinen Hals und drückt zu. »Schön auflegen, und zwar schnell. Ganz schnell! Verstanden?« Ich lasse mich fallen. Ich kann nicht mehr. Nico legt den Hörer zurück, dann

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