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Prinzentod

Prinzentod

Titel: Prinzentod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrix Gurian
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Leine unter dem Schenkel durch, zusammen drehen wir die Leine, bis plötzlich mehrere Dinge passieren. Ein lautes Krachen ertönt, Schüsse, dann geht das Licht an, Nico steht in der Tür. Ich höre Sirenen. Brigitte und ich sehen uns an. Nico lächelt und macht eine bedauernde Geste mit dem Revolver. »Brigitte, ich muss sagen, ich bin wirklich froh, dass du nicht meine Mutter bist, ich hatte nie das Gefühl, dass wir beide etwas gemeinsam haben. Nie. Ein König wie ich hat natürlich eine Königin als Mutter, das ist klar. Nicht jemanden wie dich!« Er lässt die Waffe sinken und schaut mich verwirrt an. In diesem Augenblick wird krachend die Tür aufgetreten, mehrere Polizisten richten ihre Waffe auf Nico. »Waffe fallen lassen!« Nico bleibt stehen, dreht sich nicht um, lässt aber den Revolver nicht fallen. Ich habe auf einmal entsetzliche Angst, dass er erschossen wird. Dass gleich etwas Unwiderrufliches geschehen wird. »Halt!«, schreie ich, »nicht schießen!« Nico schüttelt den Kopf. »Aber Lissie, das alles ist doch nur zu eurer Sicherheit.« Plötzlich stöhnt er laut auf, der Revolver fällt auf den Boden, an seinem Arm läuft Blut herab. Nico wird von drei Männern zu Boden gerissen, ein vierter spricht in sein Funkgerät, aber ich höre nichts mehr. Alles um mich herum rauscht. Ich werde hochgehoben und nach draußen getragen, ich sehe flackernde Lichter, die sich drehen, Krankenwagen, alles wirkt wie ein Bühnenstück, aber ich bin wie davon abgeschnitten, alles ist stumm. Jemand beugt sich über mich, ich sehe, wie sich ein Mund bewegt, aber ich höre nichts, erst als der Mann mir direkt ins Ohr spricht, kann ich verstehen, was er fragt. Was ich fühle, wie es mir geht. Ob ich meinen Namen sagen kann. Aber ich kann das nicht beantworten, nur flüstern: »Ich weiß es nicht, ich weiß es nicht.« Ich werde wieder hochgehoben, schwebe durch die flirrenden Lichter der Nacht und das ist das Letzte, woran ich mich erinnern kann.

33. Kapitel
    V on der ersten Zeit, die ich im Krankenhaus verbracht habe, weiß ich heute nur noch, wie froh ich war, dass Papa gekommen ist und Tag und Nacht an meinem Bett Wache gehalten hat. Ich glaube, ohne seine beruhigend warme Hand in der meinen und ohne sein aufmunterndes Gesicht mit der dicken Knollennase hätte ich mir überhaupt keine Mühe gegeben, gesund zu werden. Denn je besser es mir körperlich ging, desto schärfer bohrten sich die Erinnerungen in meine Seele. Dr. Becker, mein Psychologe, sprach fast jeden Tag mit mir, ich wurde von der Polizei verhört und schließlich durfte ich wieder Besuch empfangen. Leider kam auch Brigitte in Begleitung von Bernadette. Während Brigitte deutlich durchblicken ließ, wie viel Schuld ich auf mich geladen hatte, sprach Bernadette kaum ein Wort mit mir. Wahrscheinlich würden die beiden mir bis an ihr Lebensende nicht verzeihen können und ich konnte es ihnen nicht einmal übel nehmen. Nach dem Besuch hatte ich einen Rückfall, meine Wunden entzündeten sich und ich durfte keinen Besuch mehr empfangen. Dr. Becker sprach jeden Tag mit mir. Er sprach über Schuld, über die Verkettung der Ereignisse, über meine Rolle in dem, was passiert war. Wir sprachen über Fehler, die jeder Mensch im Leben macht. Es waren lange Gespräche und sie waren furchtbar schmerzhaft für mich, aber richtig helfen konnten sie mir nicht. Dr. Becker versuchte, mir Nicos Krankheit zu erklären. Nico war seit Jahren in Behandlung und medikamentös eingestellt. Es war zwar möglich, dass die Ereignisse einen Schub ausgelöst hatten, der in einer Psychose geendet hatte. Doch ganz so einfach lag der Fall nicht. In der Psychiatrie, in der Nico jetzt war, hatten sie Drogen in Nicos Blut nachgewiesen, während sein Medikamentenspiegel offenbar gegen null ging. Statt seiner Tabletten muss er Amphetamine geschluckt haben, die dann seinen extremen psychotischen Zustand ausgelöst hatten. Ich weinte viel, konnte einfach nicht anders. Tagelang starrte ich aus dem Fenster und die Tränen liefen mir übers Gesicht und Papa konnte nicht viel mehr tun, als meine Hand zu halten. Manchmal kam Heike, eine junge Assistenzärztin, nach Dienstschluss zu mir, um mich aufzuheitern. Anfangs schwieg ich nur, aber als sie mir zu erklären begann, was bei Kais Unfall passiert war, wurde ich neugieriger. Kai war an Hirnblutungen gestorben, die innerhalb von wenigen Minuten zum Tod geführt hatten. Auch wenn jemand sofort den Krankenwagen gerufen hätte, ja, sogar wenn ein Arzt

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