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Prinzessin der Nacht - Phantastischer Roman (German Edition)

Prinzessin der Nacht - Phantastischer Roman (German Edition)

Titel: Prinzessin der Nacht - Phantastischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Endl
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wäre es wohl spätestens nach der fünfzigsten Sprosse beim Blick nach unten schwindlig geworden. Aber zum einen schaute Skaia nicht in die Tiefe des Schachts, zum anderen konnte sie sich nicht vorstellen, dass es hier höher hinausgehen würde als bei einem Sonnenmast.
    Am Ende der Leiter musste Skaia richtig Atem holen. Wahrscheinlich war sie im Kopf der Sphinx angekommen. Nach ihrer Verschnaufpause musste sie nicht lange gehen, und schon erschien ein Pendant zur ersten Leiter. Rasch ging es auf ihr wieder bergab. Was war das für ein merkwürdiges Gangsystem? Es schien so gar nicht für Besucher ausgelegt, die rasch einen bestimmten Punkt in diesem massigen Körper erreichen wollten.
    Am unteren Ende der Leiter stieß Skaia wieder auf zwei wuchtige, rot glimmende Pforten im Boden. Sie sahen genauso undurchdringlich aus wie die ersten beiden. Doch Skaia wollte nicht glauben, dass sie auch hier scheitern würde. Mit aller Gewalt sprang sie auf die Steinplatten. Sofort sackten diese unter ihr weg, klappten auseinander und ließen Skaia ins Bodenlose stürzen. Hart landete sie auf einer Rutsche, die sie in rasendem Wirbel abwärts beförderte, bis sie auf rotem Stein aufschlug. Mit offenem Mund blickte sich Skaia um. Steißbein und Ellenbogen schmerzten.
    Sie hatte eine größere Halle erwartet. Und wie hatte sie gehofft, Aldoro darin zu finden. Aber hier war es öde und leer. Dabei spürte Skaia ganz deutlich, dass sie im Zentrum der Sphinx angekommen war. Wenn sie es recht bedachte, befand sie sich nach dem Umweg über den Kopf wohl in der Brust des Kolosses. In etwa dort, wo bei ihr selbst die unterste Kugel des Sonnenkreises auflag. Gedankenverloren griff Skaia nach ihr. Spürte dabei ihr Herz schlagen. Ja, das Herz ...
    Mit ganz neuen Augen sah sie auf einmal ihre Umgebung. Es konnte nur so sein: Sie saß im Herzen der Sphinx. Sie war durch Gänge gelaufen, die nichts anderes darstellten als die Blutbahnen. Wenn sie sich an das Schema des Blutkreislaufes richtig erinnerte und mit ihrer Wanderung in den roten Röhren verglich, war sie demnach durch die feinen Kapillaren im Fuß in die größte Schlagader, die Aorta, gelangt, von dort über Arterien in den Kopf und über Venen schließlich hierher, in die rechte Herzkammer. Vor allem hieß das eines: Sie hatte zunächst gegen die Klappen der linken Herzkammer getreten. Es war eine ganz andere Halle gewesen. Gleich benachbart zwar zu dieser, aber ohne direkten Verbindungsgang.
    Jetzt wusste sie, wie sie dorthin gelangte. Der Weg führte durch den kleinen Blutkreislauf! Wie kompliziert das ganze System zusammenhing ― Gehirn, Herz, Lunge, Extremitäten. Und Abkürzungen gab es nicht. Nur den Weg durch jene Klappen, die dem Fußende der Rutschbahn gegenüberlagen. Skaia hoffte, dass sie sich das alles nicht nur einbildete.
    Als Skaia die Ausgangsklappen aufschob und in die Lungenarterie hinaufstieg, griff sie hilfesuchend nach den Kugeln des Sonnenkreises, Gleich spürte sie unter ihren Fingern wieder die Botschaft, die ihr Yaho gezeigt hatte: „Denk an den Mond“. Wenn man die Mahnung des Sonnenkreises einmal entdeckt hatte, war sie überdeutlich. Yaho hatte alles zurückgelassen, um Sonnenkreis und Mondauge wieder zu vereinigen. Wenn Skaia an sein Ende dachte, schüttelte es sie. Was mochte hinter dem Vorhang aus dunklen Schmetterlingen geschehen sein? Das erhoffte Mondauge, hatte er es dort gefunden? Nur um im gleichen Moment mit ihm zu versinken in den Fluten des geschmolzenen Eises? So war die Schrift auf der Kugel des Sonnenkreises sinnlos geworden. Und Yaho, der einstige Gute Herrscher, der letzte Verwandte von Skaia und Aldoro, war umsonst gestorben. Für eine Vision, die sich nie mehr erfüllen lassen würde. Während Skaia durch die verzweigten Lungenvenen und -arterien der Sphinx eilte, konnte sie den Gedanken, wie das Wasser in Yahos Lungen eingedrungen sein musste, nicht verdrängen. Skaia hatte ihn kaum gekannt, und unheimlich war er ihr auch gewesen. Dennoch stieg Traurigkeit in ihr auf. Und die anderen, die sie in Moxó zurückgelassen hatte? Ob der tollpatschige Mikolo den Weg zum Theater zurückgefunden hatte? Und ob Gura das neue Ei bereits ausgebrütet hatte? Selbst Lunetta spukte Skaia immer wieder im Kopf herum. War auch sie zwischen den zergehenden Schollen jämmerlich ertrunken?
    Skaia erreichte den Vorhof zur linken Herzkammer. Sie versuchte, ihre Hoffnungen, Aldoro darin zu finden, zu dämpfen. „Wahrscheinlich ist er nicht da“, sagte

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