Prinzessin der Nacht - Phantastischer Roman (German Edition)
einem Frösteln im Nacken lief Skaia weiter. Den Hügel hinauf, an „ihrem“ Sonnenmast vorbei, zwischen den Beeten der Gemeinschaftsgärten hindurch bis hin zur Mauer, die sich immer noch matt, glatt und grau in die Höhe reckte. Schnell fand Skaia die Stelle, an der sich der Eingang versteckte. Wie schon einmal taten sich vor ihr die feinen Ritzen in der Wand auf. Und wie schon einmal fragte sich Skaia, wie sie denn ohne Klinke, Schloss oder Schlüssel weiterkam. Bis ihr einfiel, dass sie ja den Sonnenkreis bei sich hatte. Vielleicht sollte sie sich in einen Vogel, vielleicht eine Möwe ...
„Klong“ machte es da direkt vor ihrer Nase. Skaias Herz blieb fast stehen. Der steinerne Einlass war aufgesprungen und klappte zurück. Skaia hätte Männer in faden Anzügen oder weißen Kitteln erwartet, vielleicht auch Robolde. Aber keinen dunklen Kapuzenmann. Ein Aufschrei entfuhr ihr. Ihm allerdings auch.
Für ihn schien es nur eine Schrecksekunde gewesen zu sein. Denn er sah sie unverwandt an. Sicherlich war er überrascht. Aber ob er sie böse oder irritiert betrachtete, konnte Skaia nicht ausmachen. Sein Kopf war von der Kapuze verhüllt. Er machte keine Anstalten, den Totgesagten Park zu verlassen, obwohl er das zweifellos gewollt hatte. Stattdessen zischte er: „Schnell, komm rein!“
Vor lauter Schreck konnte Skaia weder antworten noch sich von der Stelle bewegen.
„Ich bin es doch!“ Als ihr Bruder die Kapuze vom Kopf streifte, stürzte Skaia auf ihn zu. Umschlang ihn. Hielt ihn fest. Und wurde gehalten. Neben ihnen fiel die Pforte ins Schloss. Aldoro hatte ihr einen Tritt gegeben.
Sie standen lange so da, ohne etwas zu sagen.
„Ich habe dich gesucht, aber als ...“ Statt weiter zu reden, schloss Skaia lieber die Augen. Das einzige, was sie wollte, war die Nähe ihres Bruders, sein Geruch, seine Hand, die ihr über die Haare strich.
Erst als sie gemeinsam den Weg zum Glaspavillon einschlugen, berichtete Skaia, was sie erlebt hatte. Aldoro blieb vor Verblüffung dauernd stehen und starrte sie mit offenem Mund an. Fast konnte er es nicht glauben ― bis sie ihm zum Beweis den Sonnenkreis zeigte.
Skaia hielt ihm die Kette mit den Kugeln hin. „Willst du ihn nicht tragen? Du bist der Gute Herrscher“.
„Pff“, machte Aldoro verächtlich. „Das war ich. Unser Freund Klirr hat jetzt das Sagen. Die Eingeweihten sind getürmt. Einfach weg. Nicht, dass ich sie vermisst hätte, aber ...“ Er überlegte. „Weißt du, mein Wort war keinen Pfifferling wert. Und trotzdem habe ich mich verantwortlich gefühlt für Solterra. Vielleicht ist es jetzt besser so. Auch wenn alles so schäbig zu Ende gegangen ist.“
Skaia hatte diesmal kaum einen Blick übrig für die Figuren, die die Wiese rund um den Pavillon bevölkerten. In ihrer Drolligkeit mochten sie nicht so recht zu Aldoros Schilderung passen, wie er geflüchtet war.
Natürlich hatte ihm das Verschwinden der Eingeweihten zum ersten Mal die Gelegenheit gegeben, so zu handeln, wie er es für richtig hielt. Was nur heißen konnte, eine Rede an das versammelte Volk zu richten. Doch die vielen Leute waren ihm nicht geheuer. Was hätte er ihnen sagen sollen? Als sie skandierten: „Gegen Lug, gegen Trug“, hätte er sich ihnen am liebsten angeschlossen. Schließlich war er selbst belogen und betrogen worden. Aber hätten ihm die Menschen geglaubt?
Statt eine Ansprache zu halten, eilte Aldoro in Skaias Zimmer. Doch seine Schwester war verschwunden. Selbst von ihren Robolden fehlte jede Spur. Eine Weile durchsuchte Aldoro alle möglichen Räumlichkeiten der Burg, bis er sich eingestehen musste, dass es keinen Sinn hatte. Vielleicht war Skaia längst nicht mehr in Solterra.
Vor dem Moment an, in dem Klirrs Komitee die Burg stürmen würde, gruselte es ihn. Die Eingeweihten hatten es leicht. Ihre Gesichter kannte niemand. Immer waren sie unter den Kapuzen verborgen gewesen. Wie einfach konnten sie sich unters Volk mischen. Aber Aldoro? Nicht nur Klirr würde ihn jederzeit erkennen.
In der Bibliothek wachte Fräulein Martha über ihre Bücher, als sei nichts weiter geschehen. Sie nickte huldvoll, als Aldoro seinen Ausweis vorzeigte, und antwortete auf seine Frage nach Büchern über den Totgesagten Park: „Kommt mir irgendwie bekannt vor. Einen Moment ...“
Hurtig drehte sie sich um zu den Karteikästen, die sämtliche vorhandenen Titel auflisteten. Bald schüttelte sie den Kopf und hörte nicht mehr auf damit. Bis sie plötzlich ein erkennendes
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