Prinzessin der Nacht - Phantastischer Roman (German Edition)
starrte sie auf den Kopf, der sich wieder in ein scheinbar harmloses, altes Rohr verwandelt hatte, aus dem munter Quellwasser plätscherte.
Hätte Aldoro sie in diesem Moment gefragt, warum sie nach Moxó geflohen waren, wenn ihnen hier eine Gefahr nach der anderen auflauerte ― was hätte sie antworten können?
Mikolo pustete den Staub vom Käsegebäck und steckte es in die Umhängetasche. „Also, Vorsicht vor heimtückischen Wasserrohren!“, sagte er mit bedeutsamer Miene.
„Wer weiß, ob das Wasser nicht auch vergiftet ist“, gab der Kapellmeister zu bedenken.
Aldoro nickte und goss den Inhalt der Feldflasche auf den Boden aus. Bevor sie den Platz verließen, ritzten sie mit Mikolos Ast einen Totenkopf in den Boden. So tief, wie es ging.
Die Gegend wurde felsiger, und die Spur, der sie folgten, schlingerte zwischen meterhohen, von Grünzeug überwucherten Gesteinsbrocken hindurch. Vereinzelt wuchsen am Wegrand langstielige, weiße Blumen. Einmal tat sich gar ein kleines Feld der zarten Blütenpracht vor ihnen auf. Über den Großteil war jedoch der Tausendfüßler hinweggestapft. Zerrissen, zerfleddert, zermatscht lagen Stängel, Blätter und Blüten am Boden.
„Die schönen Lilien ...“ Mikolo war entsetzt.
„Pst!“ Aldoro hob warnend die Hand und lauschte.
Jetzt hörte es Skaia auch. Die Raben! Dazu Musik von einem Akkordeon. Die Melodie hätte heiter geklungen, wenn unter den lebhaften Tonsprüngen nicht eine gequälte Stimmung mitgeschwungen wäre.
Sie mussten sich vorsichtig heranschleichen. Bei jeder Biegung wurden sie langsamer und lugten um die kantigen Felsbrocken. Vor ihnen tat sich ein Trümmerfeld auf. Überall lagen Bruchstücke eines mächtigen Bauwerkes, das vor langer Zeit eingestürzt sein musste. Mal waren in die Steine geheimnisvolle Zeichen gemeißelt, Würmern nicht unähnlich, die sich in alle mögliche Richtungen krümmten. Mal konnte man Auge, Nase und Stirn eines gekrönten Raubtierkopfes ausmachen. Daneben Reste von reich verzierten Säulen. Über eine dicke Steinplatte mit gewundenem Schlangenrelief verlief eine Wagenspur.
Eine prächtige, hufeisenförmige Säulenhalle hatte einst wohl hier gestanden. So jedenfalls legten es die Grundmauern nahe. Auf Säulenstümpfen, auf umgestürzten Figurenteilen, auf den Resten breiter Gesimse, auf zerschlagenen Bodenplatten, überall hockten Raben. Auch um die beiden Ochsen und die Planwagen, die unterhalb der verrotteten Stufenanlagen standen, kreisten sie bedrohlich. Treppauf, treppab steckten brennende Fackeln in den Ritzen. Und über allem thronte der Horrlekin. Nicht etwa auf seinem Tausendfüßler ― der rupfte viele Meter entfernt blätterreiche Zweige von der Felswand ― sondern auf einem gewaltigen Tier aus Stein. Dem Körper eines mit Drachenflügeln versehenen Wildschweins war ein menschlicher Kopf aufgepfropft. Die Stirn war wulstig, die kugelrunden Augen glotzten, und die Mundwinkel wiesen mürrisch nach unten. Nur ein Mehrfachkinn à la Klirr fehlte noch. Aber auch so war das Geschöpf widerwärtig. Zwischen den beiden halb aufgespannten Flügeln hockte der Horrlekin und lauschte der Musik. Sie kam, ganz wie es Skaia vermutet hatte, von Alferding und Isenbart. Sie zerrten am Balg ihres überlangen Akkordeons und hämmerten auf Tasten und Knöpfe.
„Liiiieblos!“, erregte sich der Kapellmeister. „Und in C-Dur muss man das auch nicht spielen. Wie verwirrend vieldeutig klänge das in Ges-Dur! Aber wahrscheinlich haben sie mit den vielen Vorzeichen Schwierigkeiten. Also, denen muss ich mal ...“
Aldoro mahnte: „Ich glaube, das ist nicht das dringendste Problem, das wir zu lösen ...“
„Oh weh“, fiel ihm Skaia ins Wort, „seht mal, was die Raben da machen!“
Die Vögel umschwirrten Gura, die einen grotesk hohen, weißen Hut trug, aber anmutig zur Musik von Alferding und Isenbart tanzte. Immer wieder zuckte sie zusammen, denn die Raben machten sich einen Spaß daraus, sie zu zwicken.
Von weit oben schallte es auf die Tänzerin herab: „Na, was ist denn? Nicht ablenken lassen!“ Sichtlich erbost sprang der Horrlekin auf.
„Gura ...“, hauchte Mikolo.
„Überhaupt, ein bisschen gefälliger das Ganze. Ballett ist etwas Feines. Hoch das Bein und lächeln. Tut auch gar nicht weh. Immer schön auf den Zehenspitzen bleiben, wir wollen doch das werte Publikum entzücken. Sieh nur, wie gierig sie danach trachten, dass du dein Bestes gibst.“ Vage wies er mit einem Arm zu den Planwagen. War etwa der Rest
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