Prinzessin der Nacht - Phantastischer Roman (German Edition)
alles prima gelaufen, bis draußen ein Trampeln zu hören war. Es hat mich sofort an den Tausendfüßler erinnert, den wir in Überzeh erlebt haben. Und tatsächlich ist auf diesem Monstervieh der Kerl mit den dunklen Federn eingeritten. Und über ihm flogen die vielen schwarzen Raben. Der Federmann hat quer über den Platz gerufen: ‚Bleibt ruhig alle sitzen! Kein Aufsehen, kein Aufsehen, nur weil euch euer lieber Horrlekin die Ehre erweist.’ Mitten im großen Monolog von Squenz, an der Stelle, wo er sagt: ‚Und hilft nicht Gewalt, so wollen wir willig warten.’ Du weißt schon, an der Stelle, wo sie mit den Pickeln nichts erreichen und es lieber ausbrüten ...“
Aldoro unterbrach ihn: „Ist das nicht egal, an welcher Stelle im Stück das war? Was war mit dem Tausendfüßler und dem Mann?“
„Der Tausendfüßler hat sich quer hinter die letzte Sitzreihe gestellt, ganz so, als sei er auch eine. Auf seinem Rücken thronte der Horrlekin. Die meisten Zuschauer sind geflohen. Ich konnte es ganz gut sehen durch die Löcher in der Wand, aus denen ich gegen Ende die Blutstropfen gießen sollte. Auf der Bühne ist die Handlung ins Stocken geraten. Und obwohl ich dauernd die richtigen Stichwörter gegeben habe, ist es nicht mehr so recht vorangegangen.
Der Horrlekin schrie nach vorne und beschwerte sich über die lausige Vorstellung. Trotzdem brachten wir das Stück zu Ende. Zumindest beinahe. Als sich der Hahn in einen Prinzen verwandelte und sagte, das innerste Geheimnis sei die Macht der Gefühle, begann der Kerl zu toben. Eine einzige Niedertracht sei das Stück. Eine Schmierenkomödie, die sich lustig mache über jedwedes Wesen mit Federn und so weiter. Da fielen die Raben über die Schauspieler her. Sie hackten und pickten und trieben sie über den Platz. Ihr Gekrächz war grässlich. Ich habe mir die Ohren zugehalten und mich ganz klein gemacht. Der Horrlekin hat noch alles Mögliche gebrüllt, und überall war das Gekeife der Raben und dazwischen Schreie von Tabbi und den anderen.“ Mikolos Stimme war brüchig geworden.
Leise fragte Skaia: „Und als das Geschrei aufgehört hat?“
„Ich habe mich ewig nicht rausgetraut aus den Pappmascheewänden. Aber irgendwann dann doch. Da habe ich gemerkt, dass alle weg waren. Auch die beiden Wagen, die jetzt fehlen. Ich glaube, der Horrlekin hat sie mitgenommen. Die zwei Ochsen sind ja auch fort. Vielleicht hat er sie vor die Wagen gespannt, und Papa und Gura und alle sind jetzt seine Gefangenen.“
„Gefangene? Aber wieso?“
„Nur zu gerne. Ich habe zweifellos schon an gemütlicheren Orten genächtigt“, gab der Kapellmeister von sich. Aldoro hatte ihm eröffnet, dass sie weiterziehen würden, sobald Skaia sich wohler fühlte. Fast hätte man meinen können, dass es nicht Skaia gewesen war, die einen Zusammenbruch erlitten hatte, sondern der Kapellmeister, so fest hatte er geschlafen. Vielleicht lag es auch an dem kleinen Duftkissen, auf das er sich gebettet hatte. Der Geruch von Lavendel mochte ihn so benebelt haben. „Das sollte man mal den ganzen Leuten empfehlen, die immer klagen, sie könnten nicht schlafen. Herrlich!“, krähte er und gähnte ausgiebig.
Aldoro klemmte ihn wieder zwischen Kutte und Strick, schulterte seine mit neuen Vorräten aufgefüllte Tasche und sagte: „Dann also los!“
Sechs Füße traten in die ungezählten Fußstapfen vor ihnen. Dazwischen verliefen Wagenspuren. Nichts war leichter, als ihnen zu folgen.
Skaia fühlte sich besser.
„Ich sehe, der Heilsud, den wir dir eingeflößt haben, hat dir richtig gut getan“, freute sich Aldoro.
„Was für ein Sud denn?“ Skaia konnte sich nicht daran erinnern.
„Eine Lösung aus der Galle einer Schildkröte mit Milch einer trächtigen Kuh, Kupfer und scharfem Essig. So stand es auf dem Fläschchen, das wir im Küchenschrank gefunden hatten.“
Skaia verzog das Gesicht. Wahrscheinlich würde sie gleich einen Stich im Magen verspüren.
Bevor sie sich beschweren konnte, ergänzte Aldoro: „Vorne stand ‚Notfalltropfen’ drauf. Anzuwenden bei Nervenzusammenbruch, Kreislaufkollaps, Lampenfieber und Gedächtnisschwäche’.“
„Und immerhin bist zu zusammengebrochen, warst schwach, hattest Fieber, und ein Kollaps war das sowieso.“ Mikolo strahlte vor Klugheit. „Wir haben dir fast die ganze Flasche verabreicht!“
Ein Wunder, dass sich Skaia dabei nicht hatte übergeben müssen.
„So, wie stellt ihr euch nun vor, dass wir die Theaterleute aus der Hand des
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