Prinzessin der Nacht - Phantastischer Roman (German Edition)
mehr gefunden wird?“
„Neuen suchen“, kam es ungerührt von vorne.
Einen neuen Guten Herrscher? So einfach war das? Eine Frechheit! Ihr machten die Eingeweihten die Hölle heiß, und die beiden Robolde taten so, als sei alles überhaupt kein Problem.
„Der neue Gute Herrscher wird sich aber schwer tun. Der Sonnenkreis ist schließlich auch weg!“
„Suchen“, kam es von hinten.
„Und wenn er sich nicht findet? Sucht ihr dann auch einen neuen?“, gab Skaia hämisch zurück.
Darauf kam keine Antwort mehr. Skaia war zufrieden. Klar. Der Sonnenkreis war schließlich einzigartig.
„Er ist das Herz von Solterra. Aus ihm schöpft sich die Kraft des Guten Herrschers, das Wissen der Eingeweihten und das Vertrauen des Volkes.“ So stand es im Weisheitslehrebuch. Von den weißen Wänden ihrer Zelle angeödet, hatte Skaia ins Bücherregal gegriffen und unter „Sonnenkreis“ nachgeschlagen.
„Von Ymir im Feuerregen Muspelheims aus dem Eise Niflheims geschaffen, ging er von Hand zu Hand, von Thrudhgelmir zu Bergelmir, von Bergelmir zu Talemir, von Talemir zu Obskurir, von Obskurir zu Luminir, von Luminir zu Bierzumir, von Bierzumir zu Wiedumir, von Wiedumir zu Soichdir, von Soichdir zu ...“ Na, das war ja nicht gerade aufregend. Dass Lehrbücher immer so langweilig geschrieben sein mussten. Skaia überflog die weiteren Namen. Elfmal musste sie umblättern, bis sie das Ende der Aufzählung fand: „... von Zetero zu Mordio, von Mordio zu Kakao, von Kakao zu ’aribo, von ’aribo zu L’unio. L’unio war der letzte Erbe Ymirs. Als er starb, gab er den Siebenfachen Sonnenkreis in die Obhut Sarastros, des höchsten Eingeweihten, der mit seiner Hilfe die Finsternis vertrieb und das immer strahlende Sonnenreich zu schaffen imstande war. Denn im Siebenfachen Sonnenkreis liegt das Wissen um Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, um Glück und Unglück der Welt verborgen. Wer ihn berührt, ahnt das Wohl und Wehe des Schicksals. Wer ihn berührt, ist berufen zu handeln. Wer ihn berührt, mag sich verwandeln. Wenn er würdig ist.“ Für Skaia klang das meiste wenig überzeugend. Wo war da die wissenschaftliche Genauigkeit, die in Solterra bei allem verlangt wurde? Unerklärliche Kräfte waren verpönt. Offenbar aber nicht beim Sonnenkreis. Vielleicht, weil er viel älter war als Solterra selbst? Angesichts der seitenlang aufgezählten Hände, durch die er gegangen war, musste er uralt sein. Ein Wunder eigentlich, dass er nicht komplett abgegriffen aussah. Nachdenklich schlug Skaia das Buch zu. Die Lektüre hatte sie kaum weitergebracht. Aber wahrscheinlich war Skaia einfach noch nicht weise genug, die Worte zu verstehen. Sie schlug das Buch wieder auf und blätterte es ziellos durch. Endlose Ausführungen über die Weisheit der Eingeweihten, über die Geschichte der wichtigsten Techniker von Solterra, über Medikamente, die den unseligen Einfluss von Gefühlen auf den klaren Denkprozess einschränkten, über die unterschiedliche Größe weiblicher und männlicher Gehirne. Nichts half ihr weiter. Überhaupt gab das Buch keine Antworten auf ihre Fragen: Warum waren Yaho und der Sonnenkreis verschwunden? Was hatte die Katze von ihr gewollt? Was hatte es mit dem Kapellmeister und all den lustigen Dingen im Totgesagten Park auf sich? Nicht einmal erwähnt wurde der Park in diesem Buch. Dabei behauptete Klirr immer, dass es das weiseste Werk aller Zeiten und Welten sei.
„Wahrscheinlich ist Klirr einfach nur der dümmste Erzieher aller Zeiten und Welten und hat keine Ahnung von nichts“, ärgerte sich Skaia. Sie hob das Buch mit beiden Händen über ihren Kopf und überlegte, ob es ihr gut täte, das „weise Werk“ gegen die Wand zu werfen. Oder würde sie dann von den Robolden ein medizinisches Mittel verabreicht bekommen, das den verderblichen Einfluss ihrer aufgewühlten Gefühle einschränkte?
Skaia entschied sich für das Werfen. Das Buch krachte gegen das Bücherbord. Riss die Bretter und alle weiteren, sicher auch sehr weisen Werke mit sich zu Boden. Mit Genugtuung betrachtete Skaia den wüsten Haufen. Und an der weißen Wand, wo das Bord gehangen hatte, bemerkte sie zufrieden einen dunklen Strich, den wohl eines der gestürzten Bretter hinterlassen hatte. Einige Zeit begutachtete sie ihn kritisch, überlegte, ob er wie ein Kleiderbügel ohne Haken aussah oder eher wie der fiese Mund von Klirr. Mehr Möglichkeiten fielen ihr nicht ein. Letztlich war er nur ein hässlicher Schmutzstreifen an einer
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