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Prinzessin der Nacht - Phantastischer Roman (German Edition)

Prinzessin der Nacht - Phantastischer Roman (German Edition)

Titel: Prinzessin der Nacht - Phantastischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Endl
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Punkte. Doch mit jedem Meter wurden aus ihnen mehr und mehr Menschen. „Die Eingeweihten“, dachte Skaia ehrfurchtsvoll. Zwölf Gestalten in weißen, wallenden Priestergewändern, die Köpfe von Kapuzen verhüllt, umstanden einen riesigen, alten Polstersessel. Dort, wo er nicht abgewetzt war, konnte man eine seidig schillernde, rote Bespannung erkennen, die in eine Art Röckchen überging. Fast bis zum Boden verdeckte es die hölzernen Beine. Im Sessel saß ein alter Mann. So weit nach vorne gebeugt, dass Skaia meinte, er suche etwas am Boden. Allerdings blieb er auch in dieser Haltung, als er zu sprechen begann.
    „Muss ich ... noch ... lange ... hier sitzen?“
    „Wie Bröckchen fallen die Wörter aus seinem Mund“, dachte sich Skaia. Angeekelt betrachtete sie den Greis. Das sollte der Gute Herrscher sein, „Yaho, der Weitsichtige“? Er war mindestens fünfundsechzig. Oder siebzig. Sein Gesicht, seine Hände hatten Risse. Schienen unendlich trocken. Sonnengegerbte, dunkle Haut, gehüllt ins verwaschene Gelb eines unförmigen Umhangs ― welch ein Gegensatz zu dem, was hinter seinem Sessel gut zwei Meter hoch aufragte. Skaia wurde ganz ehrfürchtig, als sie nach oben sah. Auf einem chromblitzenden Podest stand, mit rotem Samt beschlagen, ein Kasten. Er war vorne offen und präsentierte eine majestätische Halskette: zwei silberne Bänder, die in regelmäßigen Abständen sieben goldene Kugeln hielten. Tatsächlich! Sie stand vor dem Allerheiligsten, dem Siebenfachen Sonnenkreis! Skaia hörte vor Aufregung kaum, wie von den Eingeweihten her eine düstere Stimme tönte: „Das Mädchen ist eingedrungen in den Totgesagten Park ...“
    „Mit dieser Katze. Einem scheinweißen Tier ...“, fiel ihr eine strenge Stimme ins Wort. Skaia hatte die Katze bisher gar nicht bemerkt. Aber jetzt hielt ein weiterer Robold das Tier, das er am Nacken gepackt hatte, unsanft in die Höhe. Die Katze fauchte und schlug mit ihren Pfoten hilflos ins Nichts. Dann gab sie auf und hing schlaff wie ein leerer Sack in der Luft.
    „... sicher geschickt von der finstersten Macht“, klagte eine dritte Stimme schrill an. Der Mann, zu dem sie gehörte, trat vor. „Das Mädchen spielte!“, ereiferte er sich. „Schaukelte!“
    Erregtes Gemurmel erhob sich in den Reihen der Eingeweihten.
    „Sprach mit dem Kapellmeister!“
    Erschrocken holten einige tief Luft.
    „Schlecht“, brummelte der greise Yaho vor sich hin.
    „Das Mädchen muss verhört werden!“, forderte der Schrille.
    „Wir müssen herausfinden, was es dort wollte!“, erklärte der Strenge.
    „Wer nicht wachsam ist, wird untergehen!“, warnte der Düstere. Erwartungsvoll umringten sie den in sich zusammengesunkenen Guten Herrscher.
    Er starrte weiter in den Boden. Dann hatte er dort unten offenbar eine weise Antwort gefunden. Seine Lippen zitterten und brachten stockend heraus: „Wenn es ... nicht lange dauert ...“
    Wie auf Kommando fuhren die drei Eingeweihten herum. Feuerten ihre Fragen auf Skaia ab: „Für wen arbeitest du?“
    „Wie bist du über die Mauer gekommen?“
    „Weißt du überhaupt, in welche Gefahr du uns bringst?“
    „Was hat dir der Kapellmeister erzählt?“
    „Wie hast du die Katze kennen gelernt?“
    „Was will sie von dir?“
    „Wie kannst du das deiner Familie antun?“
    Gemeinsam kamen sie auf Skaia zu. Sie konnte nicht zurückweichen, denn hinter ihr standen die beiden Wachrobolde. Immer näher drängten die drei heran, und ihre Fragen nahmen kein Ende. Fiel Skaia eine Antwort ein, waren die Männer längst weiter. Alles verwirrte und verknotete sich in Skaias Kopf. Gleich würden Schrill, Streng und Düster sie berühren. Sie schütteln.
    Skaia schwitzte. Rang nach Atem. Holte tief Luft ― und schrie: „Ich habe überhaupt nichts gewollt! Lasst mich in Frieden! Ich weiß nicht, wovon ihr redet!“
    Ihr Schrei hatte eine verblüffende Wirkung: Die Eingeweihten zogen erschrocken die Köpfe ein. Und vorsichtig wandten sie ihren Blick nach oben zum Licht. Von fern kam ein Quietschen. Wie bei einem Wetterhahn, dessen rostiges Gestänge vom Wind bewegt wird. Dann stürzte etwas vom Himmel. Schlug direkt vor dem Sessel auf. Genau im Blickfeld des Guten Herrschers. Ein Buchstabe aus Eisen lag da. Ein A, so groß wie Skaias Brustkorb. So sahen also die Schriftzeichen aus, die sich über den Himmel der Halle spannten. Das A war fast auseinandergebrochen. Und man sah es nicht nur an dem breiten Riss, wie mitgenommen der massige Buchstabe war.

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