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Prinzessin der Nacht - Phantastischer Roman (German Edition)

Prinzessin der Nacht - Phantastischer Roman (German Edition)

Titel: Prinzessin der Nacht - Phantastischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Endl
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L’unio, dem Herrscherpaar über Tag und Nacht. Daraus hatte Missjö Sufflee also seine beeindruckende Menüfolge. Das andere war ein Wälzer, auf dessen Deckel lediglich ein großes „O.“ prangte. Als Skaia das Buch aufschlug, offenbarte es sich als „Alle Orakel der Tages- und Nachtschatten, erlauscht und zusammengetragen von G. Heimnis“. Skaias Herz schlug schneller. Das war der ideale Fund. Wenn es ein Orakel gäbe, das sie selbst beträfe, würde sie es hier finden ― falls es etwas mit diesen „Tages- und Nachtschatten“ zu tun haben sollte.
    Dummerweise gab es kein Inhaltsverzeichnis, geschweige denn ein Stichwortregister. Wie einfach wäre es gewesen, in solch einem Register unter „S“ wie „Skaia“ nachzuschlagen und dort zu lesen, dass das gesuchte Skaia-Orakel auf Seite 99 stünde. Aber selbst das hätte nichts genutzt, denn das Buch hatte nicht einmal durchgehende Seitenzahlen. Es sah eher so aus, als ob hier die verschiedensten Blätter zusammengebunden worden wären. Das erste bedruckte Blatt trug die Seitenzahl 316. Wenig später tauchte ein neuer Text mit der Seitenzahl 27 auf. Immer wieder waren die Seiten anders gedruckt. Manchmal gab es Überschriften, manchmal auch nicht. G. Heimnis hatte sein Buch offensichtlich zusammengeschustert, indem er Seiten aus anderen Büchern herausgerissen und hier eingefügt hatte. Dazwischen waren sogar handschriftliche Seiten, die Skaia kaum entziffern konnte:
     
    „Wan bißweilen ein schein und hitz eines anderen hitzigen planeten oder gestirns gerad auff die Sonn schisset, alsdann wallet das geschmoltzene ertz auß dem tieffesten grund der sonnen, worvon bisweilen ein so unerträgliche hitz auf erden entstehet, dass menschen und vieh davon kranck werden.“
     
    Das erinnerte Skaia an ihr Verhör im Sonnensaal, wo auch sie gemeint hatte, vor Hitze zu vergehen. Auf den nächsten Blättern hieß es:
     
    „Buchstaben zähle ich neun. Viersilbig bin ich. Nun erkenn mich
    Welche von dreien zuerst, hat zwei der Buchstaben jede
    Und was übrig die anderen fasst; aber fünfe sind lautlos
    Aber die Summe der Zahlen enthält Achthunderte zweimal
    Dreimal dreißig dazu mit sieben. Und weißt du, wer ich bin
    Dann bist du nicht uneingeweiht in die göttliche Weisheit.“
     
    War das höhere Mathematik oder Irrsinn? Musste Aldoro so etwas verstehen, um weise zu werden? Skaia konnte sich nicht vorstellen, wie er das schaffen sollte. Schließlich war er nie ein Musterschüler gewesen, und Klirr hatte seinetwegen noch mehr Briefe geschrieben als wegen Skaia.
    Auf einer Seite stand in großen Lettern nur „Morgen ist es vielleicht Nacht.“ An anderer Stelle hieß es: „Wenn die Männer rote Schuhe tragen und die Weiber hohe Hüte, dann ist das Ende nicht mehr weit.“ Das glaubte Skaia gerne. Zumindest wäre es in Solterra ein Verstoß gegen die allgemein erwartete Zurückhaltung, würde jemand mit roten Schuhen herumlaufen oder mit unsinnig hohen Hüten. Bekleidung hatte praktisch zu sein und sonst gar nichts. Wer auffallen wollte, und das galt in Solterra sowieso als anrüchig, konnte das ja mit besonderem Fleiß versuchen. Er musste nur etwas Geniales erfinden oder die Verwaltung revolutionieren, damit der Alltag noch reibungsloser funktionierte. Dann bekam er eine der zahlreichen Auszeichnungen, die es in Solterra gab, den „Allgemeinen Ordnungsorden am Bande“ oder den „Rechtschaffenen Gedankenorden“ in Bronze, Silber oder Gold oder die „Betroddelte Große-Geister-Mütze“ oder oder oder ... Skaia hätte die Ehrenzeichen gar nicht alle aufzählen können, denn anders als Klirr, der etliche von ihnen errungen hatte, interessierte sie sich nicht dafür, was man leisten musste, um dieses oder jenes zu bekommen.
    „Rote Schuhe, hohe Hüte ...“, murmelte Skaia vor sich hin, ganz so, als könne sie damit irgendetwas herbeizaubern. Etwa Klarheit darüber, was sie mit einem solchen Orakel anfangen sollte.
    Endlos reihten sich die Vorhersagen in diesem Buch aneinander: „Teilt sich der Lindwurm geschmeidig, greift der Jüngling nach dem Bildnis und stürzt in sein Abenteuer“, „Kommt der goldene Sarg zur Ruhe, stirbt die Hoffnung“, „Werden die Federn des Harlekins dunkel, sitzen in seiner Brust die Schatten“ ...
    Längst vermutete Skaia, dass sie hier ewig blättern konnte, ohne Brauchbares zu entdecken. Das Orakelbuch war eine Ansammlung unverständlicher Formulierungen ― zumindest in den Augen mäßig begabter Mädchen, die keine

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