Prinzessin der Nacht - Phantastischer Roman (German Edition)
widersetzte ― aber hier unternahm der Großteil der Burgbewohner heimliche Spaziergänge.
Begegnen wollte sie den zwölf Männern keinesfalls. So versteckte sie sich hinter einem abseits stehenden Regal mit dickleibigen Bänden. Hoffentlich suchten die Eingeweihten nicht gerade in diesen Büchern etwas.
Skaia hatte Glück. Die Eingeweihten wollten offenbar gar nichts nachschlagen. Jedenfalls traten sie nicht an die Regale, sondern blieben im Eingangsbereich stehen und begannen mit gedämpften, aber aufgeregten Stimmen eine Unterredung.
„Brüder, es ist soweit. Wir haben Ersatz.“
„Wie sieht er aus?“ „Wird es wirklich niemandem auffallen?“ „So zeigt ihn doch!“, tuschelten sie durcheinander. Dann folgten mehrere „Aaahs“ und „Ooohs“.
„Nein, es wird niemandem auffallen. Ob er die Macht hat oder nicht, sieht man ihm nicht an. Und warum sollte Aldoro zweifeln?“ Die Stimme nahm den strengen Tonfall an, den Skaia nur zu gut kannte. „Es hat auch niemand daran gezweifelt, dass Yaho sich in die Stille eines Einsiedlerlebens zurückgezogen hat.“
„Schon. Aber wenn Yaho unterwegs ist zur Königin der Nacht?“, schallte es Streng schrill entgegen. „Mit dem echten Sonnenkreis!“
„Selbst wenn ― er kann die Königin nicht befreien, nicht einmal mit dem Sonnenkreis. Das kann nur das Mädchen!“, schaltete sich die Stimme ein, die Skaia stets erschauern ließ. Düster verkündete sie: „Vergesst nicht ― sie war bereits am Karussell! Sie ist diejenige, von der das Orakel spricht: ‚Am Karussell blähen die Pferde die Nüstern. Reiten bald wieder. Das Mädchen zieht an ihren Mähnen und lacht.’ ― ‚Und lacht’!“, stieß er noch einmal voller Verachtung aus, sodass sich erschrockene Stille in der Bibliothek breit machte.
In Skaias Ohren begann es zu rauschen. Dazwischen echoten böse Stimmen: „nur das Mädchen“, „das Orakel spricht“, “lacht und lacht“ ... Skaia hätte sie am liebsten niedergeschrien.
Da fuhr Streng fort: „Das Orakel wird sich nicht erfüllen. Denn sie hat gezögert. Zu lange gezögert ... Das Mädchen wird die Burg nicht mehr verlassen. Und Yaho ist nichts als ein alter Narr! Vielleicht ist er unterwegs zur sternflammenden Königin. Vielleicht hat er sich auch nur verkrochen. Ist überwältigt von der Lebensenergie, die ihm der Sonnenkreis verschafft. Oder er hat seinen kindischen Spaß daran, sich mit seiner Hilfe in alles Mögliche zu verwandeln. Es ist nicht von Bedeutung!“
„Was haben sie uns denn gebracht, all die Guten Herrscher? Wäre es ohne sie nicht einfacher gewesen?“, ereiferte sich Schrill. „In dieser Familie herrschte nie der reine Geist. Immer waren sie anfällig für Gefühlsduselei.“
„Ja, immer noch ist einiges zu spüren vom unseligen Erbe der dunklen Königin“, sinnierte Düster. „Gut, dass die Eingeweihten stets stark genug waren, Solterra auf den richtigen Weg zu führen. Gut, dass Aldoro der letzte ist aus der Linie der Guten Herrscher. Mit ihm werden wir es leicht haben.“
„Es herrsche der Geist!“, rief Streng.
Wie auf Kommando kam es vielstimmig zurück: „Der Geist herrsche!“ Dann löste sich die Versammlung auf. Als sich hinter dem letzten Eingeweihten die Tür schloss, atmete Skaia erst einmal tief durch. Die Eingeweihten hatten den Siebenfachen Sonnenkreis gefälscht und hielten heimliche Treffen ab. Aldoro war ihre Marionette und Skaia selbst nichts anderes als ihre Gefangene, auch wenn ihre Zelle nicht mehr eng und klinisch weiß war, sondern riesig und mit so bunten Vorhängen versehen, dass Lallah nicht müde wurde, sie zu preisen.
Aber so einfach würde es Skaia den Eingeweihten nicht machen. Immerhin war sie, wenn sie es richtig verstanden hatte, eine Nachfahrin der mächtigen Königin der Nacht. Auch wenn es ihr bei diesem Gedanken kalt über den Rücken lief ― sie hatte noch nie Gutes über die Königin gehört, sondern immer nur Andeutungen über ihre Grausamkeit, ihre Rachsucht und ihren Egoismus ― fühlte sich Skaia stark. Zumindest war sie nicht gewillt, sich und Aldoro kampflos aufzugeben. Warum sollte sie ihren Bruder nicht warnen können und mit ihm gemeinsam fliehen?
Aufgewühlt war Skaia kreuz und quer durch die Bibliothek geeilt. Hatte zwischen den stets gleichförmigen Metallregalen den ganzen Raum durchschritten, bis sie plötzlich vor einem seltsam gestalteten Portal stand. Ein riesiges Buch aus Holz war da in die Wand eingelassen. In goldenen Lettern stand
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