Prinzessin der Nacht - Phantastischer Roman (German Edition)
ihrem Magen begann sich alles zu verknoten. Keine Reaktion ... Hatte Aldoro sie gehört? Aber selbst wenn ― er konnte sich schlecht nach unten beugen und ihr eine Antwort zuraunen. Da tippte der Absatz des rechten Stiefels kaum merklich auf den Boden. „Aldoro“, zischte Skaia erneut. Und wieder tippte der Absatz. Er verstand sie. Er verstand sie!
„Klirr, Haupterzieher, Erzieher bei Hofe, Erzieher in herausragender Position. Welche Ehre, dass ich der Letzte im Reigen der Huldigungsgäste sein darf“, säuselte Klirr und schaute missbilligend auf Aldoros Stiefel. Aber war Klirr tatsächlich schon der letzte in der Schlange? Um Himmels Willen!
„Aldoro, Aldoro“, zischte Skaia, und ihre Stimme wurde vor Panik lauter. „Du darfst die Feuer- und Wasserprobe nicht machen!“ Aber Skaias Worte gingen im Trompetengeschmetter unter.
Aldoro erhob sich von seinem Platz. Oh nein! Düster schritt weihevoll auf ihn zu. In den Händen hielt er die Kette, die aussah wie der echte Sonnenkreis. Skaia konnte ihrem Bruder nichts mehr zuzischen, ohne dass es Düster bemerkt hätte. Aber sie musste ihn warnen. Mit dem falschen Sonnenkreis würde er die Probe nicht überstehen. Sie wusste nicht, was sie machen sollte. Aldoro hielt die Kette mit den zwei silbernen Bändern und den sieben goldenen Kugeln in die Höhe und wandte sich allen im Saal zu. Drehte sich auch um zum Sessel. Streifte unruhig Skaias Blick.
„Er ist nicht echt!“, formte Skaia mit den Lippen und wagte sich ganz weit vor, damit er es verstehen konnte. „Mach keine Probe! Nein! Nein!!“ Tränen schossen ihr in die Augen. Alles verschwamm.
Das Feuer kam aus dem Nichts. War einfach da. Verschlang Aldoro mit Haut und Haar. Die Flammen loderten in die Höhe. Flatterten hitzig, gelb und rot und grausam. Fauchten so laut, dass Skaia nicht einmal den Todesschrei ihres Bruders hörte.
Der Attacke des Feuers folgte das Wasser. Brüllend, ein Sturm der Gewalten. Eine tobende Macht mitten im Sonnensaal.
„Verbrannt, ertrunken“, dröhnte es in Skaias Kopf. „Verbrannt, ertrunken ...“
Sie krümmte sich unter dem Sessel zusammen, presste die Augen zu, biss sich in den Arm und spürte nichts. In ihren Ohren rauschte das Wasser, das Aldoro vernichtet hatte. Rauschte, rauschte, verwandelte sich in zahllose klatschende Hände, die über Skaia wie dunkle Vögel ihre Kreise zogen. Sich flügelschlagend einen Spaß daraus machten, dem Tod zu applaudieren.
„Triumph, Triumph!“ Die Hände verstummten. Übergaben an einen vielstimmigen Chor: „Wer des Todes Schrecken überwinden kann,
der schwingt sich aus der Erde himmelan.“
Was war das? Träumte sie?
„Es lebe Aldoro! Aldoro soll leben!
Er ist es, dem wir uns mit Freuden ergeben!
Stets mög’ er des Lebens als Weiser sich freun,
er ist unser Herrscher, dem alle sich weihn!“
Das waren die Verse, die nach der geglückten Probe von allen gesungen werden mussten. Das Rauschen war weg. Das Wasser war weg. Doch inmitten des Sonnensaals ― Skaia verstand nicht, wie das sein konnte ― stand Aldoro. Ein Eingeweihter nahm ihm das Allerheiligste ab. In allen Gesichtern Ergriffenheit, Stolz und Erstaunen. Aber niemand blickte Aldoro so entgeistert an wie Skaia. Fassungslos, verwirrt und überschwemmt von unendlicher, nie gekannter Erleichterung.
Aldoro nickte den Menschen rundum gnädig zu. Auch Klirr. Aber der sah ihn nicht einmal an, sondern stierte stur unter den Sessel des Guten Herrschers.
Skaia rechnete mit vernichtenden Vorwürfen. Dass diese nicht längst auf sie eingeprasselt waren, erschien ihr wie ein Wunder. Während der gesamten Unterrichtsstunde hatte sie zwar den Eindruck gehabt, dass Klirr sie noch kritischer als sonst beäugte, aber es war ihm keine Andeutung, nicht die kleinste Spitze über die Lippen gekommen. Hatte er sie am Ende doch nicht erspäht unter Aldoros Sessel? Oder hatte er sie bereits bei den Eingeweihten verraten und ließ sie hier in ihrer Unsicherheit zappeln?
„Noch Fragen?“, schleuderte er ihr entgegen. „Vielleicht zu gestern? Du hast schließlich brav in deinem Zimmer über deinen Aufgaben gesessen, während wir der Veranstaltung beiwohnten, oder ...“ Jetzt flackerte ein Grinsen über sein Gesicht.
Tapfer antwortete Skaia: „Nein, keine Fragen!“ Aber ansehen konnte sie ihn nicht.
Die anderen Erzieher waren heute nicht so einsilbig wie Klirr gewesen. Grund hatte ausführliche Mutmaßungen über die Steuerung angestellt, mit der man im
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