Prinzessin der Nacht - Phantastischer Roman (German Edition)
haben.
Mikolo kramte schon in dem Gewandknäuel. Er hatte seine Jacke, seinen Pulli und seine Hose zwar schon leidlich vom Sabber des Sonnenfisches gereinigt, aber der Hofrat war ihm dann doch lieber. Alle Teile des Kostüms fanden sich rasch. Ebenso das Hemd von Skaia. Sonst aber nichts.
„Vielleicht ... also, wenn du willst“, kam zögernd von ihm, „dann kannst du auch den Hofrat nehmen.“ Skaia hätte sich unter normalen Umständen nie darum gerissen, aber normal war schon lange nichts mehr. So war sie froh über das Angebot. Während sie in die Beinkleider schlüpfte und den Hosenbund über dem Hemd schloss, berichtete sie dem staunenden Mikolo, wie wenig sie in den Fluten noch gefunden hatte.
Das Gefühl, das sie bei ihrer Verwandlung gehabt hatte, konnte sie schlecht beschreiben. „Das geht ganz schnell: Mensch oder Fisch. Gar nichts dazwischen. Statt Armen und Beinen bewegst du dann eben die Flossen. Das mit den Augen ist seltsam: Das linke sieht etwas ganz anderes als das rechte.“ Dass sie ganz tief in sich das Gefühl gehabt hatte, nichts und niemand würde ihr, dem riesigen Sonnenfisch, mehr etwas befehlen können, verschwieg sie. Stattdessen sagte sie: „Gut, dass es nicht mehr so kalt ist. Da holen wir uns wenigstens nicht gleich den Tod in den nassen Kleidern.“ Sie reichte Mikolo den steifen, weißen Kragen. Sie konnte ihn schließlich nicht über den Sonnenkreis ziehen.
Mikolo hingegen schien kein Problem damit zu haben, ihn mit seiner Allerweltskleidung zu kombinieren. Er band ihn um und strahlte: „Jetzt sind wir sogar zwei Hofräte, die gemeinsam durch die Lande ziehen!“
Sicher, so konnte man es auch sehen. Mit dem Eisberg und der Kälte war auch der Sturm verschwunden. Nicht einmal Regenwolken zeigten sich am Himmel. Moxó stand ihnen offen. Aber was blieb ihr anderes übrig, als Mikolo zu enttäuschen? „Ich ziehe im Moment überhaupt nirgendwo hin.“ Sie setzte sich in den Sand. Über ihr funkelten die Sterne. Tauchten am Horizont ins Wasser. Müde sank Skaia nach hinten. Ihre Augen fanden den Mond und betrachteten ihn lange. Wie freundlich er schien, trotz seiner Unvollkommenheit, seiner spitzen Sichelenden. Ohne Arg leuchtete er nicht nur auf die Blaukappe, auf Mikolo und Skaia herab, sondern selbst auf den Sonnenkreis, der den Untergang der nächtlichen Königin besiegelt hatte. Obwohl die Kugeln an Skaias Hals nur eine angenehme Wärme abgaben, hatten sie den Berg aufgelöst in Nichts.
Mikolo schlief nicht. Er saß auf der Tonne und warf Steinchen ins Wasser. In ein paar Jahren würde er so groß sein wie Aldoro. Und viel erlebt haben. Sicher blieb ihm sein Abenteuer mit Skaia ewig im Gedächtnis. So wie ihr auch. Sie musste sich keine Sorgen um ihn machen. Er hatte so viel tapfer überstanden, da war der Weg zu Papa und Gura ein Kinderspiel. Außerdem hatte er ja ein wandelndes Lichtlein dabei. So wie sie den Sonnenkreis. Mit ihm durfte sie zurückkehren. Mit ihm würde sie die dunklen Momente aus Solterra vertreiben. Mit ihm konnte sie Aldoro befreien aus dem Würgegriff der Eingeweihten. Sie hatte die Kraft dazu. Sie spürte richtig, wie sie heranrollte. Von weit herkam und ihr urplötzlich so wuchtig entgegenschlug, dass sich jedes Härchen aufstellte in zitternder Erregung. Alle Fasern ihres Körpers bebten, und die Sonne explodierte in grellstem Weiß und sattestem Gelb.
Linoleum ist hart. Auf jeden Fall härter als ein Sandstrand. Skaia richtete sich auf. Rieb sich die Schulter. Sie spürte ihre Knochen, als habe sie stundenlang auf dem grauen Boden gelegen. Vielleicht hatte sie das auch. Ausschließen mochte sie es nicht.
Sie erinnerte sich, dass sie eines sicher gewusst hatte: „Ich bin zurück. Ich bin tatsächlich zurück.“ Und dass sie die Sonne, derentwegen sie die Augen geschlossen hielt, gespürt hatte, wie sie mit aller Kraft vom Himmel strahlte. Dass es gut gewesen war, wie die dünnen Lider die Welt da draußen in warme, freundliche Rottöne verwandelten. Ein Gefühl der Leichtigkeit hatte sich wie ein seidenes Tuch auf Skaias Seele gelegt, hatte die Schrammen auf der Oberfläche, die Narben und die frischen Wunden zugedeckt.
Dann war Skaia aufgewacht. Im Kartenraum der Erziehungsanstalt. Ganz Solterra hing vor ihr. Akribisch gezeichnet, wenn auch nicht mehr ganz neu. Die Flüsse waren als deutlich sichtbare Bahnen eingetragen, obwohl längst nur noch wenig Wasser in ihnen floss. Die Gipfel der Berge, von denen es allerdings kaum welche gab,
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