Prinzessin der Nacht - Phantastischer Roman (German Edition)
mehr“, versicherte Lunetta. Wie nebenbei fuhr sie die Krallen aus und kratzte den Kerl am Bein. Seine wallende Hose, die der von Skaias Kostüm nicht unähnlich war, zerriss aber nicht. Sie war gefroren. Genauso wie der ganze Mann. Jetzt wagte sich Skaia näher an ihn heran. Klopfte ihm auf den massiven Oberarm. Steinhart und eiskalt!
„Nicht so nah!“, zischte Mikolo. „Du taust ihn noch auf.“ Tatsächlich lief schon ein dünner, nasser Film über sein Brustbein.
„Der Kleine hat Recht. Den musst du nicht enteisen.“ Lunetta nahm die Führung wieder auf. „Wir sind fast da.“
War der eingefrorene Kraftprotz eine Palastwache? Während Skaia allmählich ein leises Rauschen wahrnahm, schrumpfte das Licht des Sonnenkreises weiter zusammen, drängte sich noch enger an die Kugeln, die dabei deutlich wärmer wurden. Dunkelheit drückte schwer auf den Raum. Eine elende Last beschwerte Skaias Schultern, senkte sich auf ihre Brust. Sie war dankbar, Mikolos Atem zu hören. Sie war nicht allein, auch wenn sie den Jungen kaum sah. Mehr als eines seiner Ohren konnte hier auch die Blaukappe nicht erhellen. Tastend griff Skaia neben sich. Flüsterte: „Gib mir deine Hand!“ Hatte er auch nach der ihren gesucht? Jedenfalls fanden sie sich sofort.
„Beugt das Knie vor der großen Königin!“, befahl die Katze von irgendwo aus dem Dunkel.
Skaia sah aber niemanden, dem sie Ehrerbietung hätte entgegenbringen können. Sollte sie sich etwa ins Nichts hinein verneigen? Die Luft rundum drückte. Dunkel drang sie ihr zwischen die Lippen, kroch in sie hinein. Zorn wallte in Skaia auf. War sie denn eine Untertanin? Nein. Sie stammte aus demselben Geblüt! Sie war die Schwester des Guten Herrschers und Prinzessin ― ja, die Prinzessin der Nacht! Niemals würde sie sich beugen.
„Lasst ab von ihr, Schatten.“ Es war mehr ein kalter Windstoß als eine Stimme. Aber in ihm wirbelte die Erinnerung an einen kristallklaren Klang mit. Eine Einhalt gebietende Bewegung schimmerte auf, machte die Umrisse einer Figur sichtbar. Hoch über Skaia saß sie auf einem eisigen Thron. Dann war sie wieder verschwunden im alles verschluckenden Schwarz. Skaia spürte, wie Mikolos Hand in der ihrigen zitterte.
„Du hast lange gebraucht“, wehte die Stimme den Besuchern entgegen. Die Gestalt flackerte silbern, als sie sich nach vorne beugte.
„Wer bist du? Die Königin?“, rief Skaia. Der Druck um sie herum hatte nachgelassen.
„Fragen, Fragen ...“ Eine Andeutung von Lachen durchzog den Raum. „Halt dich nicht auf damit! Du spürst doch, wessen Reich du betreten hast, Skaia.“
„Ich bin nicht Skaia“, fuhr es aus ihr heraus, und der Magen krampfte sich zusammen. Warum sagte sie so etwas? Es hatte sich einfach von ihrer Zunge gelöst.
„Lüge, verschwinde! Sie ist nicht dein!“, fauchte die kalte Stimme, schwoll an zu Donnern: „Fort in die Ecken, ihr Schatten!“ Die Königin erstrahlte in blendendem Silberlicht. Unter ihr glitzerte der Thron, vor ihr funkelten messerscharf die Spitzen mächtiger Eiszapfen, die aus der Decke und aus dem Boden ragten. Gigantische Reißzähne eines grausamen Gebisses, das nur darauf zu warten schien, sich in das Fleisch von Eindringlingen zu schlagen.
Lange hallten die Worte der Königin nach. Erst ganz allmählich tauchte dahinter winzig Mikolos Wimmern auf.
Doch schon traf die eisige Stimme Skaia erneut mit Wucht. „Ich hatte mehr von dir erhofft, Skaia. Du bist zwar stark, wie alle Frauen unseres Geschlechts, aber du bist nicht stark genug.“ Im blendenden Licht zeichneten sich ganz langsam die Gesichtszüge der Königin ab: dunkle Augen, die Nase, der Mund, die Wangen maskenhaft, unbewegt. Darunter blinkte ein Kleid aus tausend Sternen. „Obwohl ... obwohl du den Siebenfachen Sonnenkreis trägst ... Ich habe ihn lange nicht mehr gesehen. Seit Sarastro ihn erhielt. Ha! ― Wo war da die Weisheit, als mein Gemahl das Mondauge von den restlichen sieben Kugeln trennte? Wie konnte er glauben, ich würde dulden, dass er den Sonnenkreis Sarastro und den Eingeweihten vermachte? Herzlos traten sie meine Gefühle mit Füßen, kopflos wütete ich gegen ihr Reich der reinen Vernunft, war nicht fähig, ohne die Weisheit der sieben Kugeln die Kraft der achten zu bändigen. Und jetzt, sieh an, bringst du, meine Tochter, mir den Sonnenkreis zurück ...“ Verschwommen winkten die Arme der Königin Skaia heran.
„Nein!“, presste Skaia heraus. „Er gehört mir. Du wirst ihn nie wieder berühren.“
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