Prinzessin oder Erbse
über den genauen Zeitpunkt weicht er aus. »Das ist alles ganz fair über die Bühne gegangen.« Sein Blick sucht den Nadjas, die starr geradeaus schaut. Ihr Lächeln wirkt angestrengt. »Mir bleibt nichts anderes übrig, als David zu vertrauen«, erklärt sie. Aber es fällt ihr nicht leicht. »Ich bin schon so oft von Männern enttäuscht worden.« Bei allem Mitgefühl für Nadja ist es beruhigend, dass auch eine Traumfrau vor Herzschmerz und Liebeskummer nicht gefeit zu sein scheint.
Kapitel 6
In der folgenden Woche bekomme ich Julia kaum zu Gesicht und als ich am Samstagmorgen die Augen aufschlage, frage ich mich besorgt, ob sie mir unsere kleine Streiterei möglicherweise übelnimmt. Sollte ich mich vielleicht bei ihr entschuldigen? Auch wenn ich die Wahrheit gesagt habe, hätte ich sie ja nicht gleich so anschreien müssen, Rotwein hin oder her. Sie kann ja schließlich nichts dafür, dass sie die hübschere von uns beiden ist. Verschlafen taste ich nach dem Wecker, der neben meiner Matratze auf dem Boden steht. Kurz nach zehn. Ein kleines Nickerchen gönne ich mir noch, dann stehe ich auf und besorge für Julia und mich frische Croissants und Milchkaffee, beschließe ich und drehe mich wohlig auf die Seite. Vielleicht gibt es in der »Kaffeepause«, einem kleinen Bistro in unserer Straße, sogar noch einen von diesen köstlichen Double-Chocolate-Muffins, die Julia so liebt. Und dazu einen extragroßen Caramel-Macchiato.
»Guten Morgen, Schlafmütze.« Verwirrt setze ich mich auf und sehe Julia mit einem Tablett in der Hand vor meinem Bett stehen. Müde reibe ich mir die Augen.
»Wie spät ist es?«
»Gleich zwölf.« Mist. Da bin ich wohl doch nochmal
ziemlich fest eingeschlafen. Jetzt sind bestimmt alle Muffins aus der »Kaffeepause« ausverkauft. Schuldbewusst blinzele ich zu Julia hoch. Mit einem breiten Lächeln stellt sie ihr Tablett auf dem Boden ab, setzt sich zu mir auf die Matratze, reicht mir einen Milchkaffee und – einen Double-Chocolate-Muffin.
»Was guckst du denn so komisch?«, fragt sie verunsichert. »Falls es wegen Montagabend ist, es tut mir echt leid, wie das gelaufen ist. Also, ich finde es ganz schrecklich, wenn wir uns streiten.«
»Ich auch. Tut mir leid, dass ich dich angepampt habe.«
»Schon vergessen.« Erleichtert beiße ich in den Schoko-Muffin. Er ist noch köstlicher, als ich ihn in Erinnerung hatte. »Du kannst ja nichts dafür, dass du die schönere von uns beiden bist«, sage ich kauend und grinse sie schelmisch an.
»Über das Thema würde ich wirklich gerne nochmal mit dir reden«, sagt Julia, während sie sich eins meiner zahllosen Kissen in den Rücken stopft, um sich bequemer gegen die Wand lehnen zu können.
»Lass mal«, winke ich ab, »es ist nun mal, wie es ist. Du bist schön und reizend, dafür bin ich, na ja, speziell eben.«
»Aber das ist einfach nicht wahr«, sagt Julia heftig, »ich möchte mich wirklich nicht mit dir streiten, aber ich kann nicht zulassen, dass du weiter mit einem dermaßen verzerrten Selbstbild durch die Gegend läufst.«
»Vielleicht hast du auch einfach ein verzerrtes Fremdbild«, gebe ich friedfertig zurück, denn der Schokoladenkuchen verfehlt seine Wirkung nicht. Glückshormone
jagen durch meinen Körper, ich schlürfe zufrieden meinen Kaffee und verspüre nicht das geringste Bedürfnis, den neu errungenen Frieden mit meiner Mitbewohnerin aufs Spiel zu setzen. Die jedoch denkt nicht daran, das Thema ruhen zu lassen.
»Fanny, was muss passieren, damit du glauben kannst, dass du schön bist?« Sie sieht mir tief in die Augen.
»Julia, jetzt hör auf mit dem Quatsch. Es ist schon gut. Ich bin durchaus zufrieden damit, wie ich bin. Schließlich hatte ich mein ganzes Leben Zeit, um mich daran zu gewöhnen. Es ist schon okay.«
»Okay sollte dir nicht genug sein.«
»Okay ist ganz in Ordnung. Es kommt nur darauf an, aus welcher Richtung man kommt«, sage ich, nun doch leicht gereizt. »Falls du dich dran erinnerst, dich hat man in der Grundschule Prinzessin genannt. Und mich …«
»Streichholz«, erinnert sich Julia und spielt an einem Zipfel meiner Bettdecke herum. »Ja, ich verstehe, dass das nicht so einfach für dich war. Aber das ist doch fünfundzwanzig Jahre her.«
»Aber ich sehe immer noch aus wie ein Streichholz«, gebe ich zu bedenken und wühle in meinen karottenroten Locken herum, »und zwar ein lichterloh brennendes. «
»Kinder können ganz schön scheiße sein«, erklärt Julia inbrünstig. »Aber lass
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