Prinzessin oder Erbse
von der positiven Seite zu sehen.«
»Hm.«
»Weißt du, warum ausgerechnet Rothaarige früher als Hexen verbrannt wurden? Es hieß, dass sie die Männer verzauberten und zur Unzucht verführten. Rothaarige üben nachweislich einen starken sexuellen Reiz auf Männer aus.«
»Ehrlich?« Ich betrachte mein rotes Haar genauer.
»Natürlich. Nur ein Prozent der Weltbevölkerung ist
rothaarig. Und wir wissen doch, wie Männer sind. Sie wollen, was nicht jeder hat.«
»Du hast deine Hausaufgaben gemacht, das muss ich dir lassen.«
»Los jetzt, schau dich an und sag zehnmal, dass du wunderschön bist. Und zwar so, dass ich es glaube.«
»Ich bin eine wunderschöne Frau. Ich bin eine wunderschöne Frau.« Ich betrachte mich im Spiegel, während ich mein Mantra hinunterbete, und finde mich tatsächlich nicht mehr ganz so übel wie am Anfang. Irgendwie gefällt mir der Gedanke, dass meine Leidensgenossinnen aus dem Mittelalter von den Männern dermaßen gefürchtet wurden. Bei dem Gedanken, wie man meine rothaarigen Schwestern dann auf den Scheiterhaufen geschleppt hat, schaudere ich aber. »Ich bin eine wunderschöne Frau.« Aber wie groß muss ihre Macht gewesen sein? »Ich bin eine wunderschöne Frau«, sage ich zum zehnten Mal. »Kann ich mich jetzt anziehen? Mir ist kalt.«
»Natürlich. Das war schon sehr viel besser«, lobt Julia mich und folgt mir in mein Zimmer. »Das machst du jetzt jeden Morgen und jeden Abend.«
»Okay«, sage ich ergeben und will gerade zu Jeans und einem kuscheligen, dunkelgrünen Rollkragenpullover greifen, als Julia mich aufhält.
»Halt. Zieh dir Sportsachen an!«
»Sportsachen?«
»Genau. Wir gehen Joggen.«
»Joggen?«
»Gibt es hier ein Echo?«
»Aber ich hasse Sport«, erhebe ich halbherzig Einspruch, aber ihr Blick duldet keinen Widerspruch.
»Sport ist neben Sex das Beste, was du deinem Körper antun kannst, und soviel ich weiß, hast du dir von beidem in den letzten drei Jahren nicht allzu viel gegönnt.« Autsch. Das ging unter die Gürtellinie. Auf Sex habe ich ja nun weiß Gott nicht freiwillig verzichtet. »Und je mehr Sport du treibst, desto wahrscheinlicher ist es, dass du auch ganz bald Sex haben wirst. Mit David«, fügt sie mit einem verheißungsvollen Lächeln hinzu. »Na, wie klingt das?«
»Aber ich bin doch eine wunderschöne Frau«, versuche ich sie mit ihren eigenen Waffen zu schlagen, »wer stört sich denn an so ein bisschen Orangenhaut, wenn er dafür eine rothaarige Sexgöttin bekommt?«
»Fanny, ich habe doch gesagt, keine Diskussionen.« Julia sieht mich streng an. »Wir joggen jetzt eine Runde durch den Park und dann bekommst du eine private Yogastunde von mir. Gratis. Also sei gefälligst dankbar. Zieh dir jetzt was an, damit wir los können.« Damit verschwindet sie, um sich ebenfalls umzuziehen. Schmollend beginne ich, meinen Kleiderschrank nach so etwas wie einer Jogginghose zu durchforsten. Alles, was ich finde, sind ein Paar uralte, durchgelatschte Sportschuhe, eine graublaue, ausgebeulte Trainingshose und ein weißes T-Shirt. Kaum habe ich die Sachen angezogen, erscheint Julia in einem schicken, pinkfarbenen Jogginganzug und hüpft munter auf der Stelle auf und nieder. Bei meinem Anblick erstarrt sie mitten in der Bewegung. »Du willst doch so nicht rausgehen?«
»Ich habe nichts anderes«, sage ich kläglich und vergleiche mein Outfit mit ihrer strahlenden Erscheinung.
»Du liebe Zeit.« Sie verschwindet in ihrem Zimmer, um gleich darauf mit einem hellblauen Trainingsdress in
der Hand wieder herauszukommen. »Hier, der ist mir zu groß, müsste dir also passen.«
»Na, vielen Dank auch.« Trotzdem schlüpfe ich schnell in die Klamotten und finde, dass ich so auf jeden Fall schon um Längen besser aussehe.
»Dann mal los.« Als sie mit Schwung die Wohnungstür öffnet, stößt sie mit voller Wucht mit Felix zusammen, der plötzlich wie aus dem Nichts heraus vor uns steht. In der Hand hält er eine große Papiertüte mit der Aufschrift »Kaffeepause« und drei To-Go-Kaffeebecher im Papphalter, deren Inhalt sich jetzt über Julias Trainingsjacke ergießt.
»Au!«
»Oh mein Gott, entschuldige bitte«, stammelt Felix und gräbt in seiner Papiertüte nach einer Serviette. Eifrig beginnt er, den Milchschaum von Julias Oberteil zu wischen.
»Was soll das? Pfoten weg«, fährt sie ihn an, und er zuckt erschreckt zurück.
»Verzeihung, ich wollte nicht, ich wollte nur…« Er wird puterrot im Gesicht und zieht hilflos die Schultern
Weitere Kostenlose Bücher