Prinzessin wider Willen
völlig vergessen, dass sie nicht allein waren, hatte vergessen, dass Leute zusahen. Er hatte vergessen, dass Jana Laskowski eine Fürstin und er ihr Diener war. Für die Dauer eines Walzers war sie eine Frau und er ein Mann gewesen. Er hatte sie wie ein Liebhaber gehalten, war von ihren blauen Augen fasziniert gewesen, hatte danach gebrannt, diesen herrlichen Körper zu besitzen. Sie hatte sich perfekt in seinen Armen angefühlt, so nachgiebig und anschmiegsam.
Er rieb sich das Kinn und stellte fest, dass der Duft ihres Parfüms noch an seiner Hand haftete.
Er wandte sich abrupt ab, ging auf die Terrasse hinaus und atmete tief die kühle Nachtluft ein. Er musste sich in den Griff bekommen. Es würde noch andere Bälle, noch andere
Eröffnungswalzer geben. Festliche Essen und Empfänge. Er musste Jana jeden Morgen und jeden Tag sehen.
Er stützte sich auf die steinerne Balustrade und blickte finster zu den Gipfeln der Karpaten, die sich bleich gegen den nächtlichen Himmel abhoben. Er musste zwischen sich und Jana Abstand wahren, sonst zerbrach alles, was er anstrebte. Die Zukunft von Boglandia konnte unendlich kompliziert und vielleicht sogar ernsthaft gefährdet werden.
Aber er begehrte sie. Er konnte sie nicht ansehen, ohne sie berühren zu wollen.
Er musste seine Zeit mit ihr einschränken und sich auf starre Förmlichkeit beschränken, wenn er ihr nicht ausweichen konnte.
Jana fühlte sich verlassen. Nicolas kam in den Ballsaal zurück und ging zu Constanza.
"Gräfin Caregea", sagte sie und hoffte, sich den Namen der Gräfin richtig gemerkt zu haben. Nachdem sie von der Fürstin angesprochen worden war, durfte die alte Gräfin sprechen. Und das tat sie auch. Massenweise. Und ausführlichst. Jana erfuhr, welcher Marquis mit welcher Baroness schlief, wer in bittere Streitigkeiten um Grund und Boden verstrickt war, wer über seine Verhältnisse lebte und welche blondgefärbte Gräfin von dem Samen eines sagenhaft aussehenden Kaufmanns schwanger geworden war. Gräfin Caregea sagte tatsächlich "Samen"!
Nicolas tanzte mit Constanza einen Walzer nach dem
anderen.
"Die beiden tanzen gut", bemerkte Jana. Nicolas, groß, mit schwarzen Augen und dunklen Haaren, war verführerisch wie die Nacht. Constanza, blond und mit hellen Augen, leuchtete wie der helle Tag. Sie gaben ein sagenhaftes Paar ab. "Als würden sie schon seit Jahren miteinander tanzen."
"Nun, das haben sie natürlich getan, Madam", erwiderte die Gräfin. "Die beiden sind zusammen aufgewachsen. Der Herzog von Kazmanien und die Herzogin von Vaz wurden einander schon in der Wiege versprochen. Ein nobles Paar, wenn ich das sagen darf."
"Wie bitte?" Jana wandte sich zu der Gräfin Caregea, deren Gesic ht einem getrockneten Apfel ähnelte. Ihre kleinen braunen Augen waren wie Rosinen. "Versprochen?"
"Verlobt. Die beiden sollen heiraten. Das wurde vor fast dreißig Jahren vereinbart. Was zeigten ihre Eltern doch für einen Weitblick, als sie daran dachten, die Herzogtümer von Kazmanien und Vaz miteinander zu verschmelzen, lange bevor irgendjemand davon träumte, dass unser Fürstentum
wiederhergestellt werden könnte."
"Ich verstehe", flüsterte Jana. Sie wandte sich der Tanzfläche zu und sah, wie Nicolas über etwas lachte, das Constanza gesagt hatte. Er sah ganz anders aus, wenn er lachte.
Jana war plötzlich danach, grundlos in Tränen auszubrechen.
Es war vier Uhr morgens, als Jana und Nicolas zu Janas Gemächern zurückkehrten und den kleinen Raum betraten, den alle ihr "Kabinett" nannten. Ein großer Schreibtisch stand vor bogenförmigen Fenstern, die auf das jetzt dunkle Tal zeigten.
Abgesehen davon wirkte der Raum bedrückend wie ihre anderen Gemächer. Von den Vorhängen bis zu den Möbelbezügen war alles in dunkelbraunem Samt gehalten.
"Vor hundert Jahren muss hier ein Vertreter für Samt durchgekommen sein und Mengenrabatt angeboten haben", stellte Jana fest.
"Wie bitte?"
"Schon gut. Warten Sie hier. Ich ziehe mich um. Wenn wir um diese unchristliche Uhrzeit eine Besprechung abhalten müssen, können wir es uns bequem machen. Nehmen Sie ruhig Krawatte und Bauchbinde ab."
Als sie in Jeans und einem weiten grauen Sweatshirt zurückkehrte, trug Nicolas noch immer seine Krawatte. Seine Bauchbinde befand sich makellos an der richtigen Stelle. Er blickte von dem Schreibtisch hoch und starrte sie an.
"Sie tragen Jeans!"
"Wären Ihnen Strumpfhose und Kostüm lieber? Um vier Uhr morgens? Kommen Sie schon, Nick! Werden Sie
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