Prinzessinnensöckchen (German Edition)
war ausgeblieben. Sie hatten nur Tschüs gesagt und sich eine gute Nacht gewünscht. Ob er sie wiedersehen dürfe. Zu mehr konnte sich Kevin nicht aufraffen, und wenn es im Auto nicht so dunkel gewesen wäre, hätte sie bestimmt die hektischen roten Punkte auf seinen Wangen registriert. »Ja, klar«, hatte sie geantwortet, eine Spur zu selbstverständlich, zu locker und zu schnell. »Fein«, hatte Kevin darauf hin gesagt und dann das Handschuhfach geöffnet, reingeguckt und wieder geschlossen. Was bewahren Jungs im Handschuhfach ihres Wagens auf? – Hm. Aber Kevin doch nicht...
Und wie reagieren Mädchen bei solchen Gelegenheiten? Sie hüsteln nervös und erklären mit gehörigem Bedauern, müde zu sein und morgen einen harten Arbeitstag vor sich zu haben. Stimmte ja auch. Carmen war müde und jeder Tag, an dem sie Köhler sehen und ertragen musste, war ein harter Tag.
Immerhin hatte sie gut geschlafen und, wenn überhaupt, so belanglos geträumt, dass sie am Morgen ohne die üblichen nächtlichen Monster erwachte. Beim Frühstücken kritzelte sie ein paar Stichworte in ihr Notizbuch, alles was sie über den Mordfall erfahren hatte. Das überraschte sie. Carmen hatte nicht vor, für das Blättchen weiter in dieser Sache zu recherchieren. Wäre sowieso vergebliche Liebesmüh gewesen. Köhlers Interesse galt den Anzeigenkunden und nur ihnen, alles was zwischen dem Eigenlob der hiesigen Geschäftswelt Lückenbüßerdienste verrichten musste, all die Nichtigkeiten von Berichten, war nur der dünne journalistische Anstrich, der schon abblätterte, bevor er richtig trocken war. Okay. Dagegen war auch nichts einzuwenden. Sie waren nicht die FAZ, nicht einmal die Bildzeitung.
Wozu machte sie das also? Lust auf Detektivspielen? Vielleicht, obwohl sie Krimis nie wirklich gemocht hatte. Jedenfalls spürte Carmen etwas von dem zurückkehren, was nach dem Examen von ihr abgefallen war wie eine vollgesaugte Zecke: Ehrgeiz. Ein Ziel vor Augen haben, eine Frage beantworten müssen. Eine Frage? Hoppla Mädchen, du bist gerade eine unverbesserliche Optimistin. Viele Fragen.
Die erste beantwortete sie auf der Fahrt zum Büro. In einer stillen Seitengasse der Fußgängerzone gab es einen Laden für Jeansklamotten, an dessen Schaufenster Carmen schon vorbeigeschlendert war und sich über den aktuellen Geschmack gewundert hatte. Gerade waren wieder grelle Farben und verspielte Muster in. Der Stoff durfte billig sein, Hauptsache, der Schnitt war körperbetont. Carmen seufzte. Sie stellte sich all die Mädchen vor, die jeden Morgen lieber zum nächsten Schafott als zur Waage gegangen wären. Jede neuen 100 Gramm mehr waren ein Desaster, wie die Welt noch keines gesehen hatte.
In der Nähe – doch, es gab noch Wunder – war ein Parkplatz nicht nur frei, sondern auch kostenlos gewesen, jetzt stand sie vor dem Schaufenster von »Minnie's Trendshop« und musterte die kanariengelben Hosen – alle höchstens Größe 34 -, die raffiniert geschnittenen T-Shirts und die sagenhaft engen Minis, in die sie selbst zu ihren magersüchtigsten Zeiten nur mit viel gutem Willen und einem Schuhlöffel gekommen wäre. Carmen spiegelte sich in der Scheibe, aber nein, das war nicht sie, das war sie vor zehn Jahren – nein, auch nicht. Das war das Mädchen von der Bushaltestelle. Mehr als seltsam. Sie neigte sonst nicht dazu, Phantome zu sehen.
Sie war wohl die erste potentielle Kundin an diesem Morgen, denn die Verkäuferin schaute düster, fast unwirsch aus verschlafenen, dafür aber raffiniert geschminkten Augen. Die passt spielend in 34, stellte Carmen nicht ohne einen Anflug von Neid fest. Eine reife Leistung, wenn man bedachte, dass die Oberweite der Dame weit über C hinausging.
»Ja, bitte?« Auch ihre Stimme klang wie die eines Jungmädchens, piepsig, obwohl sie in Carmens Alter war. »Prinzessinnensöckchen«, sagte Carmen knapp. »Führen Sie so was? Meine Nichte hat übermorgen Geburtstag.«
Die Verkäuferin – sie musste um drei Uhr aufgestanden sein, allein für die Haare, ein technisches Wunderwerk aus toupierten Strähnchen, einer großen Dose Haarspray und geschätzten acht verschiedenen Tönungen, brauchte man mindestens zweieinhalb Stunden. »Natürlich«, sprach es aus dem Mund unter dieser Pracht, »der absolute Hype im Moment. Alle Farben, nur rosa ist gerade aus.«
Hey, richtig, sie hatte vergessen, Kevin nach der Farbe der Söckchen zu fragen, mit denen Pohland erstickt worden war. Es waren übrigens zwei gewesen, zu einer
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