Prinzessinnensöckchen (German Edition)
und erträglich geworden? Irgendwie fand Carmen diesen Gedanken beunruhigend, was sie sehr überraschte. Sie würde den Typ am Ende doch nicht mögen?
Unterwegs meldete sich Melitta auf dem Handy. Sie war so etwas wie Carmens allerbeste Freundin, die ABF, wie man im SMS-Zeitalter abkürzte. Wenn ihr langweilig war, kündigte sie sich kurzfristig an, um bei Carmen, wie sie es ausdrückte, »nach dem Rechten zu sehen«.
Heute um drei? Ja, war machbar. Im Café Wenger? Warum nicht. – Nein, stopp – ob die Freundin nicht Lust habe, mal nach Oberwied zu kommen? Lag ja nicht aus der Welt. »Im 'Alt-Oberwied', genau. Waren wir da nicht mal? Ist doch ganz gemütlich, oder?« Melitta sagte zu und Carmen hoffte, dass das »Alt-Oberwied« wieder geöffnet hatte. Sie würde nachher dort anrufen.
Beim Termin war es wie erwartet. Die Bürgermeisterin hielt eine kleine Rede, überreichte einen Blumenstrauß und stellte sich mit der stolzen Geschäftsinhaberin, einer sorgfältig um zehn Jahre verjüngten Fünfzigjährigen, zum Foto auf. Die Gürtel waren so teuer wie geschmacklos. Carmen gab dem Geschäft drei Monate bis zur Schließung, solche Projekte hatte sie in ihrer kurzen Karriere als Fotojournalistin schon oft genug scheitern sehen. Schnell noch ein paar von den Häppchen und dann nichts wie weg, zurück ins Büro.
Das Büro war leer. Auch gut. Carmen spielte die Bilder auf den Computer, suchte eines davon aus, schrieb ihre Zeilen dazu – und ab die Post. Einen weiteren Termin hatte sie an diesem Tag nicht. Es war jetzt kurz vor ein Uhr, man könnte heimfahren und etwas Hausarbeit erledigen. Keine gute Idee. Carmen hatte eine bessere.
Sie parkte ihren Wagen gegenüber der Bushaltestelle. Gute Idee? Eher eine Schnapsidee. Nichts garantierte ihr, dass das Mädchen in nächster Zeit wieder hier aus dem Bus steigen würde, vielleicht war sie längst daheim oder hatte frei oder wurde von ihrer Mutter mit dem Auto abgeholt oder... Aber jetzt war sie halt da und wartete.
Je länger sie wartete, desto mehr fühlte sie mit all den Detektiven, die Verdächtige beschatten mussten und pausenlos dabei rauchten. Nein, das würde sie sich nicht wieder angewöhnen, war auch schlecht für den Teint. Ihre Knie begannen zu schmerzen, sie stieg aus, ging ein paar Schritte, sah zum Waldrand hinüber, wo man den kleinen Trampelpfad kaum noch erkennen konnte. Wie würde das Mädchen reagieren, wenn sie sie sah? Wieder panisch? Würde sie wieder flüchten? Überhaupt: Wie würde sie, Carmen, reagieren? Sie anzusprechen, ihr folgen?
Zeit genug, sich diese Fragen zu beantworten, hatte sie ja. Den Bus um zwanzig nach eins hatte sie nicht mehr erwischt, der war durch. Der nächste kam um zwanzig nach zwei, noch eine Viertelstunde. Carmen setzte sich in den Wagen, der Himmel wurde immer grauer und drohte mit Regen. Dann dachte sie unglücklicher Weise daran, dass sie nicht mehr an Max dachte und dachte an Max. Sie dachte sofort an Kevin und daran, dass sie gar nichts ausgemacht hatten. Wiedersehen ja, aber wann und wo – keine Ahnung. Das musste in Zukunft besser organisiert werden.
Endlich, zwanzig nach zwei. Carmen stieg aus und lehnte sich an den Kofferraum. Der Bus war pünktlich, hielt, eine ältere Frau stieg aus, sonst niemand. Wäre auch zu schön gewesen. Es saßen nicht mehr viele Leute im Inneren, Oberwied war die Endstation. Ein frecher kleiner Junge, der ihr die Zunge rausstreckte, ein Mann, der mit dem Kinn auf der Brust vor sich hin döste, ein Mädchen mit langen braunen Haaren, das ihr jetzt direkt in die Augen sah, sofort wegschaute und sich instinktiv zur Seite duckte. Das war sie. Der Bus fuhr an, Carmen sprang in ihren Wagen.
*
Oh mein Gott, sie folgte ihr tatsächlich! Diese Frau! Emily bekam keine Luft mehr, sie japste, sie rannte durch den Regen, der gerade eingesetzt hatte und immer stärker wurde. Niemand auf der Straße, der ihr hätte helfen können, aber selbst wenn ihr jemand begegnet wäre – wie konnte ihr überhaupt jemand helfen?
Sie drehte sich um, die Frau war aus dem Wagen ausgestiegen und jetzt hinter ihr, höchstens zwanzig Meter. Sie sagte nichts, rief sie nicht an. Da vorne, endlich, gleich hatte sie es geschafft. Durch das Tor, schon mal den Haustürschlüssel aus der Tasche zerren. Wenigstens stand kein Päckchen vor der Tür.
9
»Du bist verknallt.«
Melitta sagte es, als sei es eine Tatsache und Leugnen zwecklos. »Bin ich nicht«, leugnete Carmen. »Wie kommst du denn darauf?«
»Du
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