Prinzessinnensöckchen (German Edition)
gewartet. Das Licht in Emilys Zimmer brannte nicht mehr.
*
Okay, war nicht schlecht gewesen. Und Gott sei Dank schon zu Ende, als Emily angerufen hatte. Jetzt lag Hanna frisch geduscht auf dem Bett, hörte Musik und wartete. Endlich, nach fast zwei langen Stunden meldete er sich. »Geil«, sagte Hanna, beugte sich zum Nachttisch, nahm den Kugelschreiber und ein Stück Papier. »Wiederhol noch mal. Wie heißt die? Carmen Witt? Und wo wohnt die?«
11
Wenn Carmen tatsächlich geglaubt hatte, mit den Ereignissen der letzten Tage habe ein neues Leben für sie begonnen, so wurde sie schon kurz nach dem Aufwachen eines Besseren belehrt. Maximilians übliche Liebes-SMS, die diesmal nur aus einem Herzchen bestand, beantwortete sie wütend mit einem deftigen »fuck U!«. Kaum war sie wieder in der Nähe ihres Normalpulses, rief Köhler an.
Seine gestrige Schweigsamkeit entpuppte sich als eine schnell kurierte Erkrankung, eine geistige Anomalie, an deren Stelle wieder die alte natürliche Cholerik getreten war. »Wenn Sie nicht SOFORT der Wiedereröffnung der Kindertagesstätte Mitte beiwohnen, werden Sie niemandem mehr beiwohnen! Ich falte Sie zu einem unbrauchbaren menschlichen Wesen zusammen, mit Ihnen wird man dann beim Arbeitsamt sein Vergnügen haben!«
Das Angebot, er könne sie lecken, war Carmen so unbeabsichtigt wie überzeugend über die Lippen gerutscht, dass Köhler einen Moment lang stutzte und schwieg. Es war aber lediglich die Ruhe vor dem Sturm. »Und DANACH erwartet sie der Schlagersänger Ronnie Großmund zu einer Homestory! Der hat seit zwanzig Jahren keinen Hit mehr gehabt und sperrt uns endlich seine Bude auf. Sollte mir hier auch nur der Anflug einer Kritik zu Ohren kommen, sollte Ihr Bericht nicht sämtliche Qualitätsmerkmale unseres Blattes erfüllen – dann wären Sie gut beraten, sich schon einmal nach der nächsten Suppenküche umzusehen! Ich werde dafür sorgen, dass Sie kein Bein mehr auf den Boden kriegen, kein Stück Brot mehr, gar nichts, rein gar nichts. So. Und jetzt werfen Sie Ihren Luxuskörper in ihre geschmacklosen Klamotten und auf geht's!« Ohne einen letzten lieben Gruß beendete der Redakteur das Gespräch.
Schon die Vorstellung, diesem abgehalfterten Schnulzensänger gegenüber zu sitzen und auf sein miserables Toupet und die viel zu blendenden Zähne im Ledergesicht schauen zu müssen, brachte Carmen an den Rand der Übelkeit. Sie war noch während des Gesprächs aufgestanden, um sich ohne Umstände in ihre Klamotten zu werfen. Zuerst greinende Kleinkinder und danach eine schmalzige Grinsebacke – das würden auch stärkere Frauen als sie nicht aushalten. Also setzte sie sich wieder hin. Versuchte ruhig zu werden. Schenkte sich, ganz langsam, die letzte halbe Tasse Kaffee ein, überlegte sogar, noch einen Toast zu essen. Es war ja erst kurz nach halb elf, sie war gestern nach Mitternacht ins Bett gegangen, allein und grübelnd, kein guter Schlaf. Gut, sie war noch müde. Aber damit hatte ihr Zustand gerade nichts zu tun. Dass sie sich treiben ließ, von anderen und überhaupt. Kein Ufer fand, an das sie schwimmen konnte... Kurzentschlossen nahm sie das Handy, wählte die bekannte Nummer aus, hörte die bekannte, jetzt geschäftsmäßige Stimme und sagte, sehr beherrscht: »Ich kündige. Fristlos. Schönen Tag noch.«
Danach musste sie raus. Ihr Kühlschrank war leer, das kam hinzu, aber vor allem brauchte sie Bewegung. Es war schön, die Zukunft zu kennen, so voller Trost. Sie würde zum Monatsende pleite sein, vom Arbeitsamt war auch nichts zu erwarten. Man würde ihr die Wohnung kündigen, was nicht schlecht war, denn wenn sie keine Wohnung mehr hatte, konnte ihr niemand den Strom sperren. Sie würde, das war das Schönste, heim zu ihren Eltern ziehen müssen, die weit weg wohnten und ihre Tochter auf dem Weg nach oben wähnten. Oder sie würde ihr letztes Geld in schicke Anziehsachen investieren, die nächste angesagte Bar aufsuchen und einen reichen Mann abschleppen, dem es nichts ausmachte, wenn er immer, wenn er seine Frau von hinten sah, an ein Pferd dachte. Das war die Zukunft. Jetzt kümmerte sie sich um die Gegenwart.
Insgeheim hatte sie gehofft, Köhler würde sofort zurückrufen und sie dazu überreden wollen, das mit der Kündigung zu vergessen. Das Handy jedoch schwieg. Im Supermarkt packte sie der Kaufrausch. Jedes Sonderangebot bettelte darum, mitgenommen zu werden, Carmen gönnte sich sogar schottischen Räucherlachs, nur weil der 9,95 statt 10,95
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