Prisma
dass ihr seltsamer fremdweltlicher Besucher noch vor Einbruch der Nacht sterben würde, wenn nicht sofort eine umfangreiche Operation eingeleitet würde.
Die Ärzte berieten sich ständig. Das seltsame Pumpgerät zum Beispiel, das rote Flüssigkeit durch das gesamte System transportierte, war schwer beschädigt und funktionierte nur unregelmäßig. Das gleiche traf auf die beiden Gasblasen zu, die auf und seitlich der Pumpe lagen, und für die chemischen Aufbereitungsorgane, die zerfetzt in der Haupthöhle des Körpers darunter ruhten. Evans war ohnmächtig geworden, ehe er den vollen Umfang seiner Verletzungen erkannt hatte. Hätte er den nämlich bemerkt, dann hätte er sich wahrscheinlich auf der Stelle selbst aufgegeben.
Seine Gefährten betrachteten die Lage jedoch leidenschaftslos.
»Das wird sicherlich interessant«, sagte der Bibliothekar. »Wir haben noch nie zuvor eine derart beschädigte organische Lebensform repariert.«
»Es wird ihm nicht recht sein.« Azur blickte vom Prozessor, der bereits eifrig an der Arbeit war, zu den beiden Ärzten.
»Er hat keine Wahl«, erklärte der Bibliothekar, »und wir auch nicht. Sein Leben wird aufhören, wenn er nicht repariert wird.« Er deutete mit einer dünnen Tentakel. »Seht euch mal dieses Durcheinander an. Ihr wisst ja, wie empfindlich organische Systeme sind. Es muss etwas getan werden, und zwar schnell.«
»Ich mache mir nur Sorgen wegen des Schocks, den er erfahren wird, wenn er erwacht«, murmelte der Kundschafter.
»Zerbrechen wir uns darüber den Kopf, wenn er wieder zu Bewusstsein kommt«, meinte der erste Arzt. »Wenn wir die Schäden nicht schnellstens beseitigen, wird er nicht mehr lange genug zu sich kommen, um einen Schock zu erleben.« Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem weichen Körper zu. »Das wird einige Zeit in Anspruch nehmen. Wir werden die notwendigen Funktionen aufrechterhalten, indem wir sie, wenn nötig, mit unseren eigenen Körpern übernehmen. Ich hoffe, dass dieses Evan-Wesen eine kräftige Konstitution hat. Die wird er brauchen, wenn er unsere Behandlung überleben will.« Er zeigte seinem Kollegen, was er meinte. »Ich glaube, wir fangen am besten mit dieser Pumpe an.«
Der zweite Arzt war einverstanden. Ein Tentakel tastete sich auf das unregelmäßig schlagende dunkelrote Organ zu. Seine Silikatspitze glänzte und war nadelscharf.
Da war nur unendliche Dunkelheit. Dann war da ein fernes schwaches Summen, angenehm und entspannend. Evan schlug die Augen auf.
Er lag auf dem Rücken und starrte in Gesichter über ihm. Eigentlich keine richtigen Gesichter. Eher Produkte eines fleißigen abstrakten Bildhauers. Die Skulpturen entfernten sich, bis nur noch zwei übrig blieben. Er sah Azur und den ersten Arzt.
Während er sie erkannte, stellte sich auch die Erinnerung ein: der furchtbare brennende Schmerz, als die Zähne des Shervan sich in ihn hineinfraßen, große Fleischstücke herausrissen und das Blut spritzen ließen. Er erinnerte sich, wie er an sich hinuntergeschaut hatte und wie ihm Eingeweide heraushingen wie en Gewirr weißer Schnüre, die von einer verborgenen Spule abgewickelt worden waren. Wie seltsam unberührt sein Geist geblieben war, als er sich das Ausmaß an Zerfleischung angesehen hatte. Es war so, als wäre er Zeuge einer anonymen Katastrophe.
In Gedanken ging er die lange Liste an Verwundungen durch, die er erlitten hatte. Nach allem Dafürhalten hätte er längst mausetot sein müssen. Er war es nicht. Er fühlte sich allerdings, als wäre er mehrmals von einem riesigen Fahrzeug überrollt worden. Der ganze Körper schmerzte ihn, und er war dankbar dafür. Ein weiteres Zeichen, dass er noch lebte. Alles schien einwandfrei zu funktionieren, die Kommunikationseinheit ebenfalls, die die Ärzte ihm eingepflanzt hatten. Des letzteren war er sich deshalb so sicher, weil er deutlich hörte, wie Azur seine Gefährten ansprach.
»Es klappt«, versicherte der Kundschafter ihnen.
»Ja, ich funktioniere noch«, murmelte er im Geist, »aber eigentlich dürfte es nicht so sein. Ich dürfte eigentlich nicht einmal jetzt mit euch reden können.« Er wusste natürlich, warum er noch am Leben war: die Ärzte hatten sich wieder ans Werk gemacht. Irgendwie hatten sie das Durcheinander, das der Shervan angerichtet hatte, geordnet und wieder zusammengefügt. Fast hatte er Angst, an sich herunterzublicken, da er nicht wusste, was ihn erwartete. Eine dumme und völlig unangebrachte Befürchtung, sagte er sich. Was immer
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