Private Games - Der Countdown des Todes
der Ziellinie oder irgendwo in der Nähe«, sagte Knight. » Das passt zu seinem Hang zu Dramatik. Haben Sie Jack Morgan gesehen?«
» Er ist dir schon ein Stück voraus, Peter«, antwortete Pottersfield. » Sobald er gehört hat, dass Lancer unser Kronos ist und immer noch frei herumläuft, ist er schnurstracks zur Ziellinie gegangen. Schlauer Kerl für einen Ami.«
Doch sechsundzwanzig Minuten später, als von der Marathonstrecke südlich des St. James’s Park das Johlen der Menschenmenge herüberdrang, war Lancer noch immer nicht gesichtet worden. Allerdings war das Zeitmesssystem zwischenzeitlich auf versteckte Sprengladungen untersucht worden.
Knight und Jack standen oben auf den entlang der Mall errichteten Tribünen und spähten mit Ferngläsern in die Bäume hinauf, falls sich Lancer als Heckenschütze dort oben versteckt haben sollte. Casper und Pottersfield taten mehr oder weniger dasselbe auf der anderen Straßenseite. Ihr Blick allerdings wurde durch lange Reihen mit britischen und olympischen Flaggen versperrt, die an Masten in Richtung des westlich gelegenen Buckingham Palace flatterten.
» Ich habe ihn selbst überprüft«, sagte Jack düster und nahm das Fernglas nach unten. » Lancer, meine ich. Damals, als er kurz für uns in Hongkong gearbeitet hat. Er war quietschsauber, nur Lobhudelei von allen, die ihn kannten. Und ich bin mir sicher, dass ich von seinem Einsatz auf dem Balkan nichts gelesen habe. Ansonsten würde ich mich daran erinnern.«
» Er war nicht einmal fünf Wochen dort«, erklärte Knight.
» Lange genug, um blutrünstige Weiber zu rekrutieren, die so verrückt sind wie er.«
» Wahrscheinlich hat er deshalb den NATO -Einsatz in seinem Lebenslauf verschwiegen«, überlegte Knight.
Bevor Jack etwas erwidern konnte, wurde das begeisterte Brüllen der Menge noch lauter, und die Menschen auf den Tribünen rund um das Victoria Memorial sprangen von ihren Sitzen, als zwei Polizisten auf Motorrädern etwa hundert Meter vor den vier Läufern erschienen, die sich etwa bei Kilometer zwanzig von der Menge gelöst hatten.
» Die Motorradfahrer«, sagte Knight und richtete sein Fernglas auf die Gesichter der Fahrer. Keiner von ihnen war Lancer.
Hinter den Motorrädern erschienen die vier Läufer – der Kenianer, der Äthiopier, der barfüßige Mexikaner und dieser Typ aus Brighton. Alle vier hatten jeweils eine kleine olympische und die kamerunische Flagge dabei.
Nach zweiundvierzig Kilometern und zwölf Metern rannten der Kenianer und der Brite nebeneinander voran. Doch zweihundert Meter vor dem Ziel holten der Äthiopier und der Mexikaner auf und rannten, einer rechts, der andere links, neben den Anführern her.
Die Menge tobte, als die spindeldürren Läufer auf der Zielgeraden zu Gold und Ruhm strebten. Doch sie blieben nebeneinander. Keiner riss sich los.
Zwanzig Meter vor dem Ziel legte der Kerl aus Brighton noch einen Zahn zu, und es sah aus, als würde Großbritannien zum ersten Mal Gold beim Marathon der Herren gewinnen, nachdem Mary Duckworth beim Marathon der Damen am Sonntag zuvor ihren historischen Sieg errungen hatte.
Doch erstaunlicherweise verlangsamte der Brite ganz knapp vor dem Ziel sein Tempo, die vier Läufer hoben ihre Flaggen und rannten gleichzeitig durchs Band.
Eine Sekunde lang war die Menge erstaunt, und Knight hörte, wie die Nachrichtensprecher ihre Kommentare über diesen sensationellen Ausgang des Rennens in ihre Mikrofone brüllten. So etwas hatte es noch nie gegeben. Dann verstanden auch die Zuschauer auf der Mall, was dieser Akt bedeutete, und begannen, Knight eingeschlossen, zu applaudieren und laut zu johlen.
Siehst du, Lancer?, dachte er. Kronos! Du kannst den olympischen Geist nicht auslöschen, weil er nicht an einem Ort zu finden ist, sondern im Herzen eines jeden Sportlers, der nach Größe strebt.
» Kein Anschlag«, stellte Jack fest, als der Beifall erstarb. » Vielleicht hat Lancer durch diese Demonstration der Stärke Angst bekommen.«
» Vielleicht«, stimmte Knight zaghaft zu. » Vielleicht hat er auch gar nicht vom Ende des Marathons gesprochen.«
1 0 8
Unaufhörlich wird das übelkeiterregende Ende des Marathons der Herren auf den Bildschirmen rund um die gesicherten Eingänge übertragen, während ich abseits der Ruckholt Road geduldig in der flimmernden Hitze in der Schlange am Nordeingang zum Olympiapark stehe.
Mein Kopf ist rasiert, jedes Stück sichtbare Haut mit Henna gefärbt, ein Farbton, der zehn Mal dunkler ist als
Weitere Kostenlose Bücher