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Privatklinik

Privatklinik

Titel: Privatklinik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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vollkommene Stille. Diakon Weigel und Brigitte warteten am Tisch, Dr. Linden lehnte an der Wand und starrte vor sich hin. Er spürte, wie der Alkohol sein Hirn erreichte, wie die Erdenschwere sich auflöste, wie er den eigenen Kopf nicht mehr auf den Schultern spürte. Er hob die Hand und ließ sie über die Wand gleiten, über das Fenster, über die Scheibe. Er schloß dabei die Augen, um nicht zu sehen, was er ertastete.
    Eine Unebenheit … ein Nagelkopf.
    Eine Beule … ein verhärteter Farbtropfen.
    Eine feine Rillenspur im Holz … hier hatte der Hobel des Tischlers eine kaum sichtbare Narbe gezogen.
    Die Fingerspitzen gehorchten wieder. Der Tastsinn war zurückgekommen. So fein, so unendlich subtil, daß sich Linden erboten hätte, selbst eine Staubflocke zu ertasten.
    »Beginnen wir!« sagte er in die Stille des Zimmers hinein. Er stieß sich von der Wand ab, tauchte die Hände wieder in die Sterillösung, ließ sie abtropfen und griff zum Skalpell.
    Der erste Hautschnitt war noch zögernd, abwartend.
    Der zweite Faszienschnitt erfolgte sicher und schnell.
    Die Durchtrennung der Muskulatur und die Eröffnung des Peritoneums demonstrierten wieder die Eleganz der Lindenschen Operationskunst. Über das Gesicht des Diakons Weigel rann erneut kalter Schweiß. Er kämpfte gegen die Übelkeit. Mit zitternden Fingern klammerte er die Adern ab, tupfte das Blut weg, hob den Eiter aus der Bauchhöhle.
    »Eine schöne Schweinerei!« sagte Dr. Linden sachlich. Es war kein Unterschied mehr zwischen dem chromblinkenden OP-Saal seiner Klinik und der halbdunklen, altersschwarzen Katenstube. »Massiert sich der Kerl den ganzen Dreck in die Bauchhöhle! Die Lampe tiefer, Gitte! So, näher heran. Halt dir die Nase zu, wenn du's nicht riechen kannst – aber leuchte! Herr Diakon, kümmern Sie sich mal um den Puls! Und injizieren Sie 1,7 ccm Coramin iv. Können Sie intravenös spritzen?«
    »Ja, das kann ich«, antwortete Weigel mühsam. Jedes Wort war ein Anstoß zum Erbrechen.
    »Gut! Dann weiter.«
    In mühsamer Kleinarbeit reinigte Dr. Linden die Bauchhöhle vom Eiter, löste Darmverklebungen und entfernte Blutklumpen. Es war wie ein Rausch über ihn gekommen.
    Ich operiere wieder, dachte er. Ich habe das feinste Gefühl in meinen Fingerspitzen. Ich habe den Weg zurückgefunden.
    Dann sah er, ganz zufällig, auf das leergetrunkene Glas. Und dann in die Augen Brigittes. Während sie die Lampe über den offenen Bauch des Heidebauern hielt, rannen ihr die Tränen lautlos übers Gesicht.
    »Es wird eines Tages auch ohne das gehen, Gitte …«, sagte Linden leise. »Ich verspreche es dir bei allem, was uns heilig ist. Ich will nicht mehr in den Sumpf zurück …«
    Der Bauer Jons Briddeck wurde gerettet. Er durfte weiterleben, durch ein Glas Alkohol.
    Auf Schloß Bornfeld wurde Linden wie ein Held empfangen. Der Abend am flammenden Kamin in der Jagdhalle war wie eine nationale Feier. Man brachte Toaste aus (mit Tee), man hielt Reden über die Kunst der Ärzte. Nur Landgerichtsdirektor von Hammerfels schloß sich aus. Er hatte sich in sein Bett zurückgezogen und grollte. Sein Rechtsempfinden war gestört.
    »Er darf trinken, um zu operieren!« sagte er bitter. »Begründung: Es geht um ein Menschenleben! Ich darf nicht trinken, und man verweigert mir die Richtertätigkeit! Dabei denke ich als Richter gerade am logischsten, wenn ich getrunken habe. Geht es hierbei etwa nicht um den Menschen?« Er zog sich die Decke über den Kopf, als man unten in der Halle Studentenlieder sang. »Lindenwirtin, du junge …«
    Das roch nach Alkohol, nach Stiefelrunden, Salamanderreiben, Kneipen und Ex.
    Um Mitternacht schellte von Hammerfels nach seiner Injektion. Vergeblich war er in die Werkstätten geschlichen, um noch Reste von Alkohol zu suchen.
    Wie ein Geist war er durch die Keller gehuscht. In einem langen weißen Nachthemd mit blauem Saum, wie es auch Dr. Wiggert trug. Aber alle Verstecke waren leer, selbst die raffiniertesten des seligen Hoppnatz.
    Auf dem Rückweg, einer riesigen Fledermaus gleich, traf er auf dem dunklen Gang einen der feiernden Gäste, der zu seinem Zimmer ging, um eine Mundharmonika zu holen. Von Hammerfels drückte sich in eine Türnische, die Tür gab nach, und er stolperte in ein fremdes, völlig finsteres Zimmer. Ein paar Sekunden zögerte er, dann suchte er den Lichtschalter und knipste die Deckenleuchte an.
    Das Zimmer war leer. Unbewohnt. Die Matratzen standen hochkant im Bett, die Bettvorleger waren aufgerollt,

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