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Professor Bingos Schnupfpulver

Professor Bingos Schnupfpulver

Titel: Professor Bingos Schnupfpulver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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Verärgerung war nicht minder gering. Er machte den Eindruck eines Menschen, den man einen großen Tropfen bitterer grüner Galle in den Morgenkaffee getan hatte. Der Mann ging wieder hinaus.
    Joe Pettigrew wagte es, sich wieder zu bewegen. In der Wand war ein Fenster mit einer Milchglasscheibe, klein, aber ausreichend. Er zog den Riegel zurück und versuchte es in die Höhe zu schieben. Es klemmte. Er wiederholte den Versuch mit größerer Kraftanstrengung. Sein Rücken begann davon zu schmerzen. Endlich ließ sich das Fenster ruckweise in die Höhe schieben, bis es nicht mehr ging.
    Als er die Arme sinken ließ und sich die Handflächen an den Hosenbeinen abwischte, sagte eine Stimme hinter ihm: »Das war nicht offen.«
    Und eine andere Stimme fragte: »Was war nicht offen, Mister?«
    »Das Fenster, was denn sonst.«
    Joe blickte sich vorsichtig um. Seitwärts gehend entfernte er sich vom Fenster. Der Barkeeper und der Mann aus der Ecknische blickten beide auf das Fenster.
    »Muß aber wohl«, sagte der Barkeeper ziemlich barsch. »Und Ihr Ton gefällt mir nicht.«
    »Und ich sage, es war zu.« Der Mann aus der Ecknische unterstrich seine Feststellung mit Nachdruck und unter Außerachtlassung jeglicher Reste von Höflichkeit.
    »Wollen Sie damit sagen, daß ich lüge?« fragte der Barkeeper.
    »Woher wollen Sie eigentlich wissen, ob es zu oder offen war?« Der Mann aus der Ecknische wurde wieder aggressiv.
    »Warum sind Sie dann noch mal hereingegangen, wenn Sie Ihrer Sache so sicher waren?«
    »Weil ich meinen Augen nicht traute.« Der Mann aus der Ecknische brüllte fast.
    Der Barkeeper grinste. »Aber von mir erwarten Sie, daß ich's tue. Sonst noch was?«
    »Ach, rutschen Sie mir doch den Buckel 'runter«, sagte der Mann aus der Ecknische. Er drehte sich um und verließ vor der krachend zufallenden Tür die Herrentoilette. Dabei trat er mit dem Fuß mitten auf den Deckel von Professor Bingos Schnupftabakdose und drückte ihn unter seiner Schuhsohle zusammen. Niemand sah es, außer Joe Pettigrew. Und der sah es mit Betroffenheit.
    Der Barkeeper ging zu dem Fenster, schloß es und schob den Riegel vor.
    »Der soll mir nur noch mal damit kommen, der dumme Hund«, sagte er und ging hinaus. Joe Pettigrew bewegte sich behutsam auf den flachgetretenen Dosendeckel zu und bückte sich danach. Er bog ihn zurecht, so gut ihm dies möglich war, und verschloß die Dose damit. Einen fest verschlossenen Eindruck machte sie jetzt nicht mehr. Er wickelte sie in ein Papierhandtuch, um ganz sicher zu gehen.
    Wieder kam jemand in die Herrentoilette; der aber hatte ein dringendes Bedürfnis. Joe Pettigrew erwischte die Tür, bevor sie zufallen konnte, und stahl sich hinaus. Der Barkeeper stand wieder hinter der Bar. Der Mann aus der Ecknische und die Frau in dem schmuddeligen kleinen Lammpelz waren dabei, die Bar zu verlassen.
    »Kommen Sie bald mal wieder vorbei«, sagte der Barkeeper und meinte genau das Gegenteil. Der Mann aus der Ecknische wollte stehenbleiben, aber die Frau sagte etwas zu ihm, und sie gingen beide hinaus.
    »Was war denn los?« fragte der Mann auf dem Hocker, der nicht in die Herrentoilette gegangen war.
    »Wenn ich mir um diese Zeit was vom North Broadway holen würde, dann bestimmt etwas Hübscheres«, sagte der Barkeeper verächtlich. »Der Flegel hat nicht nur keine Manieren und kein Hirn, sondern obendrein noch einen säuischen Geschmack.«
    »Sie müssen's ja wissen«, bemerkte der Mann auf dem Barhocker lakonisch, als Joe Pettigrew leise hinausging.
    Der Busbahnhof auf der Cahienga erschien ihm als der geeignete Ort. Leute kamen und gingen ohne Unterbrechung, Menschen mit einem festen Ziel, die sich nicht umdrehen würden, wenn jemand sie anstieße, die kaum Zeit hatten zum Denken und von denen die meisten gar nichts zum Denken hatten, selbst wenn sie Zeit dazu gehabt hätten. Und der Lärm war unüberhörbar. Wenn er in einer leeren Telefonzelle telefonierte, würde das keine Aufmerksamkeit erregen. Er langte hinauf und lockerte die Birne in der Fassung, damit das Licht nicht anging, wenn er die Tür schloß. Er machte sich jetzt Sorgen. Auf die Wirkung des Schnupfpulvers war nur eine Stunde lang Verlaß. Er rechnete zurück zu dem Zeitpunkt, da er den jungen Polizisten im Wohnzimmer seines Hauses zurückgelassen hatte, und bis zu dem Augenblick, als der Mann in der Ecknische aufgeblickt und ihn gesehen hatte.
    Ungefähr eine Stunde. Ein Grund zum Nachdenken, zu gründlichem Nachdenken. Er suchte die

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