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Professor Mittelzwercks Geschöpfe

Professor Mittelzwercks Geschöpfe

Titel: Professor Mittelzwercks Geschöpfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna und Günter Braun
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heutigen aufgeklärten Zeit ein Unternehmen überhaupt führen ließ. Nach meinem Gefühl hätte es längst Bankrott gemacht haben müssen, anstatt in der bedrückenden Umgebung gestorbener Fabriken als einziges weiterzuexistieren, einerseits im Besitz moderner Video-Elektronik, die seine Sicherheit garantieren sollte, andererseits rückständig genug, um mögliche Eindringlinge mit Wassergüssen abzuwehren. Lag etwa in diesem Widerspruch die Stärke des Unterne h mens?
    Zu Haus stellte ich das Flakon mit dem cerebralin auf meinen Schrei b tisch. Während ich meine Kongreßnotizen ordnete, nahm ich es zwische n durch mehrmals zur Hand und drehte es, so daß die Rhomben das La m penlicht vielfältig reflektierten.
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
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    Nur derart vorbelastet sind die Ereignisse des nächsten Tages wohl zu erklären. Gleich in der ersten Stunde wollte ich in der Klasse, die ich in Griechisch unterrichtete, das von der Blendung des einäugigen Kyklopen Polyphem berichtende Kapitel durchgehen, bis hin zur Abreise des Ody s seus. Ich war noch nicht ganz bei mir, die Reise mit ihren Erlebnissen hatte mich angestrengt, und meine müde Stimmung schien sich auf meine Sch ü ler zu übertragen, ich hatte das Gefühl, daß sie aus Widerwillen Vers für Vers stockend und stotternd übersetzten, es ging nicht vorwärts.
    Da wollte ich mir helfen, indem ich den Klassenbesten, Bannse, beau f tra gte zu übersetzen, und schon flo ssen die Worte.
    Aber bevor er anfing, bereits als ich ihn aufrief, lächelte er, und wie mir schien, richtete sich sein Lächeln gegen mich. Nun muß ich ran, dachte er wohl, weil der Herr Studienrat nicht weiter kann. Er kam an jene Stelle, an der die anderen Kyklopen den von Odysseus Geblendeten fragen, warum er denn so schreie, ob ihm einer was angetan habe, und Polyphem antwortet, Niemand hat mir was angetan, denn der Odysseus hatte sich ihm als ein Herr Niemand vorgestellt, und wo die anderen sagen, wenn niemand es gewesen ist, der dir das angetan hat, mußt du, sofern du Schmerzen le i dest, zu deinem Vater, dem Meeresgott Poseidon, beten, daß er dir hilft, und wo Odysseus das Gespräch mitanhört und sich ins Fäustchen lacht.
    Mir lachte die Seele vor Freude, übersetzt Heinrich Voß, daß sie mein fa l scher Name getäuscht und mein trefflicher Einfall, mich Niemand zu ne n nen.
    Mir lachte das Herze, übersetzt ein anderer, aber Bannse, der Klasse n beste, übersetzte: ich feixte vor Freude, und dabei lachte er mir ins G e sicht. Wieso lachte Bannse? Was führt er im Schilde? Sollte auch ich wie P o lyphem getäuscht worden sein? Geblendet? Unmöglich, daß Bannse über den Text gelacht hatte. Heute lachen Schüler nicht mehr über Odysseus ’ Einfall. Heute halten sie den für kindisch. Auch ich kann über den Einfall nicht mehr lachen. Warum also lachte Bannse?
    Ich drehte mich blitzschnell um, geschah etwas hinter meinem Rücken?
    Die Schüler dösten, schien es.
    Wie kam ich darauf, nach dieser Stunde Bannse vor das Lehrerzimmer zu bestellen, mit ihm an das große Flurfenster zu treten und ihn zu fragen, warum, Bannse, haben Sie an der Homerstelle gelacht?
    Ich fand die Stelle ulkig, antwortete er.
    Sagen Sie mir die Wahrheit, Sie haben über etwas anderes gelacht.
    Ja, gab er zu.
    Da haben Sie mir soeben nicht ganz wahr geantwortet.
    Doch, sagte Bannse, ich habe über diese Stelle gelacht, aber auch über Kyklops, da dachte ich an Klops, ich dachte, ich esse einen Kyklops. Es gibt heute Kyklopse, sagt die Mutter, dachte ich.
    Darüber wollen Sie gelacht haben? Das kann ich Ihnen nicht glauben. Ich mußte doch herausbekommen, was Bannse und was die Kla s se im Schilde führte.
    Wenn Sie mir nicht die Wahrheit sagen, muß ich Sie wegen ungebührlichen Benehmens ins Klassenbuch eintragen.
    Ist Lachen verboten, fragte er.
    In gewissen Zusammenhängen kann Lachen verboten sein, sagte ich ernst, ziemlich grob: Sie sprechen jetzt sofort die Wahrheit oder ich schre i be Sie ein. Es wird ein schwerer Tadel. Sie haben gelogen, als Sie behau p teten, über Odysseus ’ List gelacht zu haben, ich habe Sie überführt. Sie haben zugegeben, über etwas anderes gelacht zu haben, aber was Sie dann als das Andere anführten, nehme ich Ihnen nicht ab. Es ist so ki n disch, daß es Ihre Nichtreife bezeugt. Nicht nur die Leistungen sind es, die beurteilt werden, sondern auch Ihre Reife, ich kann Sie, wenn ich will, vom Abitur zurückstellen.
    Daß ich derart gewaltig überzog, lag

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