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Profit

Profit

Titel: Profit Kostenlos Bücher Online Lesen
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Einschätzung, hatte er ein recht solides Gerüst für seine Beziehung zu dem Kolumbianer aufgebaut. Er hatte den Mann zum Abendessen in seinem Haus zu Gast gehabt und Carla ausdrücklich ermuntert, dort weiterzumachen, wo sie an dem Abend im Hilton aufgehört hatte. Er war mit ihm auf ein paar Drinks in einige semiriskante Clubs am Rande der Sperrzonen gegangen. Und am Samstagmorgen danach hatte er Barranco, auf dessen Verlangen, sogar mit dem Saab ein bisschen durch die östlichen Zonen kutschiert. Diese letzte Tour hatte der Kolumbier in fast vollständigem Schweigen absolviert, bis er ihm schließlich eine einzige Frage stellte: Ist dies die Gegend, wo Sie aufgewachsen sind, Chris?
    Es war das erste Mal, dass er Chris nur beim Vornamen nannte. Ein Wendepunkt. Chris überlegte einen Augenblick, dann riss er das Steuer herum und wendete auf der leeren Straße. Er fuhr südwärts durch ein Labyrinth von verlassenen Einbahnstraßen, erstaunt, wie gut er sich noch immer auskannte, fand das nur halb fertig gestellte, mehrstöckige Parkhaus, das auf die Flussufersiedlungen im Westen hinausblickte, und fuhr über die gewundene Rampe aufs Dach. Er parkte am Rand und nickte durch die Windschutzscheibe.
    »Da unten«, sagte er schlicht.
    Barranco stieg aus und wanderte bis zur Kante. Nach einer Weile folgte ihm Chris.
    Am Fluss – Riverside.
    Der Name war wie ein Geschmack im Mund. Metallisch bitter. Er starrte hinunter auf die gedrungenen Wohngebäude, dazwischen das struppige Grün der Miniaturparkanlagen, die man hatte verwildern lassen, die einen Ölfilm tragenden Wasserflächen, an die an drei Seiten Siedlungen grenzten. Es war nicht das Brundtland, sagte er sich, es war nicht die labyrinthische Betonansammlung von Häusern, die von vornherein keinem anderen Zweck dienten als dem, den Bodensatz der Gesellschaft zu beherbergen. Das war es nicht. Hier war etwas ganz anderes schief gelaufen.
    »In meinem Land«, ließ Barranco Chris’ Gedanken wundersam präzise widerhallen, »würde man nicht als arm gelten, wenn man hier lebte.«
    »Diese Häuser wurden nicht für arme Leute gebaut.«
    Der Kolumbianer warf ihm einen Blick zu. »Aber dann sind arme Leute eingezogen.«
    »Na ja, sonst wollte hier niemand mehr wohnen, wissen Sie. Nach den Domino-Rezessionen. Hier gab es keinerlei Infrastruktur mehr. Keine Läden, keine Verkehrsmittel, es sei denn, man konnte sich ein Taxi leisten oder Benzin und eine Lizenz. Und das konnten mit der Zeit immer weniger Leute. Wenn man irgendwo hinwollte?« Chris drehte sich um und zeigte nach Norden. »Die nächste Bushaltestelle liegt zwei Kilometer in dieser Richtung. Früher gab es eine Schienenverbindung, aber die Investoren haben dann Angst gekriegt und sich zurückgezogen. In meiner Jugend sind einige von denen, die noch einen Job hatten, mit dem Fahrrad gefahren, aber die Kinderbanden haben irgendwann angefangen, sie mit Steinen zu bewerfen. Eine Frau wurde glatt von einem der Docks in den Fluss gefeuert. Dann haben sie immer weiter Steine auf sie fallen lassen, bis sie endgültig untergegangen ist.« Er zuckte die Achseln. »Einen Job zu haben, einen richtigen Job, das hob einen heraus.«
    Barranco sagte nichts. Er starrte hinunter auf die Siedlung, als könne er die Zeit zurückdrehen und die Frau entdecken, die dort in dem öligen Wasser zappelte.
    »Ein paar von den Kindern, mit denen ich immer gespielt habe, sind auch auf diese Weise ums Leben gekommen«, sagte Chris, der sich zum ersten Mal seit langem wieder klar erinnerte. »Ertrunken, meine ich. Kein Sicherheitszaun am Kai, verstehen Sie. Sind einfach reingefallen. Meine Mutter hat mir immer eingeschärft, ich solle nicht…«
    Er verstummte. Barranco drehte sich wieder zu ihm.
    »Tut mir Leid, Chris. Ich hätte Sie nicht bitten sollen, hierher zu fahren.«
    Chris probierte ein Lächeln. »Genau genommen haben Sie mich gar nicht gebeten.«
    »Nein, aber Sie haben es trotzdem getan.«
    Die nahe liegende Frage hing zwischen ihnen in der Luft, aber Barranco stellte sie nicht. Chris war froh darüber, denn er hätte keine Antwort darauf gehabt.
    Sie stiegen wieder ins Auto.
    »Wollt ihr jetzt dieses Zeug sehen, oder was?«
    Mike Bryant hatte mitbekommen, dass Chris und Barranco zurückgeblieben waren, und kam ihnen jetzt entgegen.
    Barranco wechselte einen Blick mit Chris und zuckte die Achseln.
    »Sicher. Selbst wenn ich nicht viel kaufe, sollte ich mich darüber informieren, was Echevarria gegen mich einsetzen könnte.

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