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Profit

Profit

Titel: Profit Kostenlos Bücher Online Lesen
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du hast, alle Streiterei wert.«
    Carla warf ihm einen überraschten Blick zu, verwundert über die plötzliche Gefühlsaufwallung in seiner Stimme.
    »Ich dachte, du magst Chris nicht.«
    Erik kicherte. »Stimmt«, sagte er. »Aber was hat das damit zu tun? Ich schlafe ja nicht mit ihm.«
    Sie lächelte matt und wandte sich dann wieder der Heizung zu.
    »Ich weiß nicht, Dad. Es ist irgendwie…«
    Er wartete, während sie ihre Gefühle ordnete und in einen sinnvollen Zusammenhang brachte.
    »Irgendwie seit er zu Shorn gegangen ist.« Sie schüttelte müde den Kopf. »Es ist so unlogisch, Dad. Er verdient mehr Geld als je zuvor, die Arbeitszeiten sind auch nicht so viel anders als bei Hammett McColl. Verdammt, wir müssten eigentlich glücklich sein. Wir haben alles, was man dafür braucht. Warum läuft es gerade jetzt schief?«
    »Shorn Associates. Und macht er immer noch Emerging Markets?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Conflict Investment.«
    »Conflict Investment.« Erik schmatzte mit den Lippen, erhob sich und ging zum Bücherregal, das an der Wand gegenüber vom Heizstrahler stand. Er fuhr mit dem Finger über die dicht an dicht stehenden Buchrücken eines der unteren Regale, fand, was er suchte, und zog den Band heraus. Die Seiten durchblätternd, kam er zum Heizkörper zurück und reichte ihr das Buch.
    »Lies das«, sagte er. »Die Seite da.«
    Sie sah das Buch an, drehte es um, um den Titel zu lesen. »Das sozialistische Erbe. Von Miguel Benito. Ach, Dad, ich bin nicht in der Stimmung. Es hat ja auch nichts mit Politik zu tun.«
    »Alles hat mit Politik zu tun, Carla. Alles ist Politik. Alles jedenfalls, was die menschliche Gesellschaft betrifft. Lies einfach den markierten Abschnitt.«
    Seufzend stellte sie den Kaffeepott zu ihren Füßen ab. Sie räusperte sich, setzte einen Finger unter die erste Zeile und begann laut zu lesen. »›Alle Revolutionäre des zwanzigsten Jahrhunderts waren sich der Tatsache bewusst‹?«
    »Ja, genau.«
    »›Alle Revolutionäre des zwanzigsten Jahrhunderts waren sich der Tatsache bewusst, dass es, um einen tief greifenden politischen Wandel herbeizuführen‹.«
    »Eigentlich dachte ich, du würdest es für dich lesen.«
    Sie machte unbeirrt weiter, immer kurz davor, in einen leiernden Ton zu verfallen. »›Dass es, um einen tief greifenden politischen Wandel herbeizuführen, unabdingbar sei, die bestehenden sozialen Spannungen so weit auf die Spitze zu treiben, dass jedermann gezwungen wäre, Partei zu ergreifen in der so herbeigeführten, vereinfachten Form des Klassenkampfes. Marxisten und ihre ideologischen Erben sprachen in diesem Zusammenhang von einer Verschärfung der gesellschaftlichen Widersprüche. In der populistischen Aufnahme…‹ Dad, führt dieser ganze Blödsinn noch mal irgendwohin?«
    »Lies einfach zu Ende, ja?«
    Sie machte ein verdrießliches Gesicht. »›In der populistischen Aufnahme dieser grundlegenden Wahrheit wurde in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts daraus der Slogan Man ist entweder Teil der Lösung oder Teil des Problems.‹ Aaaagh, neuer Absatz. ›Was aber all jene, die nicht bereit sind, den Marxismus zu begraben, im Hinblick auf die politische Lage im einundzwanzigsten Jahrhundert anzuerkennen hätten, wäre die Tatsache, dass die Widersprüche inzwischen so aufwändig getarnt sind, dass es jahrzehntelanger Arbeit bedürfte, sie überhaupt erkennbar zu machen, gar nicht zu reden davon, sie so zuzuspitzen, dass sich ihr Sinn enthüllt.‹ Ein bisschen so wie diese Prosa, hm? Schon gut, schon gut, haben’s fast geschafft. ›Da das herrschende Bewusstsein kein grundlegendes Problem mehr wahrnimmt, wird auch keine grundlegende Lösung mehr gesucht. Unschöne Erscheinungen innerhalb der Weltwirtschaftsordnung sollen entweder einer längerfristigen Feineinstellung zugeführt werden oder werden im noch ungünstigeren Fall als unvermeidliche Nebenprodukte der Gesetze der Ökonomie angesehen, welche als ebenso unumstößlich gelten wie die Gesetze der Quantenphysik. Solange die breite Masse der Menschen in der entwickelten Welt diesem Glauben anhängt, werden die vom Marxismus benannten Widersprüche verborgen bleiben und bleibt es jedem einzelnen Gesellschaftsmitglied überlassen, die vage empfundenen Spannungen auf der persönlichen Ebene zu bearbeiten. Jeder Versuch, dieses Unbehagen nach außen zu wenden, wird in dem derzeit herrschenden politischen Klima als sozialistischer Utopismus oder, wie wir im dritten Kapitel gesehen

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