Projekt Armageddon
Hüftbewegung. »Ich war Hawaiianerin, als ich noch lebte. Gonzalo macht sich gerne lustig darüber, der lausige Mex.«
Ash stimmte in das Gelächter der um das Feuer Sitzenden nicht ein. Sie fröstelte. Dämonen, Geflügelte und Harpyien. Als ich noch lebte.
»Wir sind in der Hölle?«, flüsterte sie.
Kalani hatte sie verstanden. Sie schüttelte den Kopf. »In der Zentrale? Nein. Das hier ist nur der Limbus. Die Schlachtfelder. Hier wird gekämpft.«
»Wir proben für den Ernstfall«, mischte sich ein stiller, blonder Junge ein, der auf der anderen Seite saß. »Armageddon, du verstehst? Das Ende. Die letzte Schlacht.«
»Wir sind tot.«
Kalani hob gleichmütig die Schultern, wobei sich ihre Flügel sanft entfalteten. »Ja. Und? Macht dir das Kopfschmerzen?«
»Ich dachte …«, begann Ash und unterbrach sich. Was hatte sie gedacht? Eine Vorstellung blitzte auf. Jemand, der in einem Sarg lag, die Hände über der Brust gefaltet, einen Blumenstrauß zwischen den wachsweißen Fingern. Sie schüttelte sich. »Tote laufen nicht herum und rauchen Selbstgedrehte«, sagte sie heftig.
»Wenn sie keine Filterzigaretten kriegen können, bleibt ihnen ja nicht viel anderes übrig.« Kalani stand geschmeidig auf und reckte sich. »Wir sehen uns dann morgen bei der Instruktion, Ash. Ich bin als Schäferhund eingeteilt. Gute Ruhe, Jungs.«
Die Männer grunzten, winkten ihr zu, sahen ihr nach, wie sie davonschritt. Jemand pfiff anerkennend.
Ash hockte stumm zwischen den Männern, die schwiegen, rauchten, in den grafitgrauen Himmel starrten. Gelegentlich fiel eine Bemerkung: »Habt ihr das Licht hinter Neun gesehen? Sie kommen morgen bestimmt von dort.«
»Morgen lässt Malphas uns exerzieren. Es gibt keinen Angriff.«
Schweigen.
»Auf 912 sollen sie eine neue Waffe ausprobiert haben. Man hat die Erschütterung bis in die Achthunderter gespürt, sagt Barbatos.«
»Der alte Schwätzer.« Jemand schnaubte abfällig. »Tut sich immer schrecklich wichtig.«
Ash war müde, aber sie hatte nicht das Gefühl, schlafen zu können. Sie sah auch niemanden, der schlief. War jetzt Nacht? Es war dunkler als bei ihrer Ankunft an diesem schrecklichen Ort, aber es war immer noch so hell wie an einem trüben Winternachmittag.
Winter. Sie erinnerte sich an Winter. Kalte Füße, ein strahlend blauer oder schneeschwer grauer Himmel. Bäume, die sich unter einer Schneelast bogen. War hier Winter? Aber es war nicht kalt. Das Feuer diente als Treffpunkt, nicht so sehr als Wärmequelle. Es war auch nicht warm. Eigentlich war es – gar nichts.
Sie lehnte sich zurück, verschränkte die Arme hinter dem Kopf, wozu sie ihre neuen Flügel erst einmal anders anordnen musste, und blickte hinauf in das graue Etwas über ihrem Kopf. Sie fühlte nichts. Müsste sie nicht hungrig oder durstig sein? Sie war den ganzen Tag auf den Beinen gewesen. Schläfrigkeit, Hunger, Durst, irgendetwas davon hätte sie doch jetzt verspüren müssen.
Mattigkeit, ein Gefühl der Angst, Muskeln, die sich unter der neuen Belastung im Rücken verspannten. Lust auf eine Dusche. Ein Gefühl der Trockenheit. Ja, das alles war da, aber seltsam weit entfernt, wie durch eine Milchglasscheibe betrachtet. Es betraf sie nicht wirklich.
»Che, Neue«, sagte eine heisere Stimme. »Magst du? Das chilft beim Einschlafen.« Ein Becher mit einer scharfriechenden Flüssigkeit schwappte in ihr Sichtfeld.
»Trink ruhig davon«, sagte Gonzalo ihr ins Ohr. »Das ist Wodka. Kein Lager ohne Russen, keine Russen ohne Wodka. Frag mich bitte nicht, woraus sie ihn brennen. Er schmeckt scheußlich.«
Ash nahm den Becher und nippte daran, verzog das Gesicht. Ja, er schmeckte scheußlich. Aber die Wärme, die sich in ihr ausbreitete, das Gefühl, die Kehle befeuchtet zu haben, die einsetzende warme Mattigkeit in ihren Gliedern taten wohl. Sie nahm einen zweiten, größeren Schluck und gab den Becher zurück. Der Besitzer grinste sie zahnlückig an. »Gennadiy«, sagte er und hielt ihr seine Pranke hin. Ash schüttelte sie, murmelte ihren Namen.
»Genna, gib endlich den Schnaps weiter«, rief eine Frauenstimme von der anderen Seite des Feuers. Der Russe knurrte etwas, das Ash nicht verstand, nahm hastig einen großen Schluck und reichte den Becher an ihr vorbei.
»Gut zum Schlafen, schönes Mädchen«, sagte er und klopfte ihr ungeschickt auf die Schulter. »Hier schläft man schljecht. Vodka chilft.«
Sie legte sich wieder zurück, schlug die Flügel um sich wie eine Decke. Was für eine
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