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Projekt Armageddon

Projekt Armageddon

Titel: Projekt Armageddon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gerdom
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Sprache sprechen wir hier?, dachte sie. Hawaii. Und Russen. Ein Mexikaner. Harpyien.
    Mit dem Gedanken an die unheimlichen, adlerähnlichen Frauengestalten dämmerte sie weg. Es war kein Schlaf, sondern etwas, das dicht darüber lag, nur einen halben Schritt vom Wachsein entfernt. Sie nahm immer noch alles wahr, was um sie herum geschah, aber es war, als wäre sie unter Wasser. Sie dümpelte dicht unter den Wellen dahin, sah hier ein Licht, hörte dort eine verzerrte Stimme, atmete kaum und fühlte nichts. So fühlte es sich also an, tot zu sein.

5
    Beilalter, Schwertalter, wo Schilde krachen,
Windzeit, Wolfszeit, eh die Welt zerstürzt.
    D ie alte Frau dreht ihre langen, grauen Haare zu einem dicken Zopf, den sie sich geschickt zu einem Knoten windet. Dann zieht sie ein Haarnetz darüber und steckt ein paar lange Nadeln hindurch. Ihr gefurchtes Gesicht ist ernst und konzentriert, aber in den Krähenfüßen um ihre Augen nistet der Spott.
    »Dass du dich nach all den Jahren wieder hierher wagst«, sagt sie. Ihre Mundwinkel kräuseln sich. »Na gut, jetzt bist du hier. Setz dich. Zu essen brauche ich dir ja nichts anzubieten. Tee?«
    Ihr Besucher nickt und nimmt den angebotenen Platz am Herdfeuer an. Er legt seinen Hut auf den Boden und dreht in einer unbewussten Nachahmung ihrer Geste seine Haare zusammen. Schnee tropft von seinem Mantel, dessen Saum dunkel ist vor Nässe, und um seine derben Stiefel bilden sich Pfützen, die schwarz auf dem abgetretenen Fliesenboden stehen.
    »Eine Küche?«, sagt er. Seine Stimme klingt wie ferner Donner. »Seit ich Asgard verlassen habe, scheint man mich nur noch in Küchen zu empfangen, wie einen Landstreicher.«
    Die alte Frau gluckst und hebt mühelos den schweren Wasserkessel vom Feuer. Der weite Ärmel ihres grauen Kleides fällt zurück und enthüllt einen sehnigen dunklen Arm, knorrig wie die Wurzel einer alten Eiche. »Du quengelst wie ein zahnloser Greis«, sagt sie. »So kenne ich dich gar nicht, Wälse * .«
    Sein unbedecktes Auge blitzt und seine Stirn bewölkt sich, aber er schweigt und nimmt den Becher entgegen, den sie ihm reicht.
    »Wo sind deine Hundchen?«, fragt die alte Frau und bückt sich zum Feuer. »Sie haben immer Hunger, im Gegensatz zu dir. Ich habe ein paar schöne, saftige Knochen für sie.«
    Er hat den dampfend heißen Tee schon bis auf die Neige geleert. »Draußen. Sie sind nass und stinken.«
    Die alte Frau schnalzt mit der Zunge. »Du bist ein harter Herr, Wälse. Das warst du immer schon.« Sie bückt sich wieder und holt ein Holzbrett aus dem Kasten am Fenster. Blutige Fleischfetzen hängen von seinem Rand. Sie geht zur Tür, pfeift leise, ruft: »Hundchen! Happ-happ!« und stellt das Holzbrett vor der Schwelle ab.
    Düster ist es draußen, der warme Lichtschein des Küchenfeuers leuchtet nur ein paar Schritte weit hinaus und lässt den Schnee golden aufleuchten. Große Fußstapfen zeigen an, wo der Besucher hergekommen ist. Die Spuren beginnen vier Schritte vor der Schwelle, dahinter liegt der tiefe Schnee unberührt.
    Hechelnd springen die grauen Wölfe heran, das zottige Fell eisverkrustet und die gelben Augen gierig auf die blutigen Knochen gerichtet.
    »Gute Hundchen«, sagt die alte Frau zu ihnen und kehrt in die Küche zurück.Sie wärmt ihre Hände am Feuer und zieht das dicke Wolltuch fester über ihre Schultern. »Was für ein harter Winter«, sagt sie. »So habe ich mir immer den Fimbulwinter * vorgestellt.«
    »Still«, zischt der Mann. Er ist blass geworden unter seiner wind- und sonnengegerbten Haut. »So etwas solltest du nicht einmal im Spaß sagen, Jörd.«
    Sie lächelt versonnen. »Es hat mich schon lange keiner mehr bei diesem Namen genannt. Ach, wie lange.«
    »Du bist die Wala«, erwidert er steif. »Du weißt, was war und siehst, was sein wird.«
    Sie seufzt und hebt erneut den Kessel vom Feuer. »Schon lange nicht mehr, Wälse. Du hast mich im Zorn über meine Weissagung in den Schlaf geschickt, in den langen, dunklen Schlaf. Als ich erwachte, war nur noch das von mir übrig, was du hier vor dir siehst: Eine törichte alte Frau.«
    Sie gießt den Tee auf und lehnt sich gegen den Tisch, die Arme unter der Brust verschränkt. Mit zur Seite geneigtem Kopf blickt sie ihren Gast an. Blaue Augen hat sie, so dunkel wie das Nordmeer. In ihren Tiefen glänzen Sterne.
    Der Mann beugt sich impulsiv vor und greift nach ihr. Sie reicht ihm die Hand, erwidert den Druck seiner Finger. »Wir haben Fehler gemacht«, sagt er

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