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Projekt Armageddon

Projekt Armageddon

Titel: Projekt Armageddon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gerdom
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nahm die Zigarette aus dem Mund und sah sie angewidert an. »Was ist das für ein Zeug, Joel? Geräucherter Engel?«
    Der Mann grinste und legte seinen Arm um die Schultern des Mädchens neben ihm. »Und?«, fragte er und kratzte sich den Bauch. Er trug eine ähnliche Lederjacke wie Ash, nur dass auf seinem Rücken der Schriftzug: »Hellhounds« prangte. Sehr passend.
    »Und – was?«
    »Weißt du schon, wann du dran bist?« Er wies mit dem Kinn auf das Schlachtfeld und zog an seiner Zigarette. Die Glut flammte auf und beleuchtete rötlich sein Gesicht.
    Ash zuckte gleichgültig mit den Schultern. »Morgen noch nicht.«
    Das Mädchen schluckte. »Ich weiß gar nicht, was ich hier soll«, beklagte sie sich mit weinerlicher Stimme. »Ich war krank, wisst ihr? Der Arzt im Krankenhaus hat gesagt, ich würde ganz bestimmt bald entlassen. Ich war immer brav. Und jetzt bin ich hier!« Ihre Stimme wurde schrill. Joel zog eine Grimasse.
    »Das hier ist nicht die Hölle«, intonierte Ash grinsend. »Für die Katholiken: Das hier ist nicht das Fegefeuer.«
    Joel fiel in die Litanei ein: »Juden, bitte herhören: Das hier ist nicht Sheol. Muslims aufgepasst: Das hier ist nicht Dschahannam.«
    »Nicht der Hades, nicht Hel, nicht der Orkus«, fuhr Ash singend fort.
    »Nicht die Unterwelt, nicht das Nichts!« Joel schnippte mit den Fingern und wippte mit dem Fuß. Wie oft hatten sie den Vortrag gehört? Jedes Mal, wenn eine neue Gruppe Rekruten eingewiesen wurde, also mindestens zweimal am Tag. Jammernde, weinende, blökende Schafe, die nach ihrer Mama schrien oder zu irgendeinem Gott beteten.
    »Irgendwelche Buddhisten da?«, riefen beide im Chor. »Ihr habt keine Probleme, oder? Alles ist eins!« Joel reckte beim letzten Wort den Mittelfinger zum Gruß und Ash drückte lachend ihre Zigarette aus.
    Beleth liebte es, den Neuen diesen Vortrag zu halten. Jeder, der hier eintraf, glaubte in irgendeiner Form in der Hölle zu sein. Dabei war das hier nur ein Schlachtfeld. Der Übungsplatz für die letzte, entscheidende Schlacht. Armageddon. Ragnarök. Das Ende der Welt.
    Das Mädchen hatte aufgehört zu weinen und zog einen Flunsch. »Dumm«, flüsterte sie. »Dumm und falsch. Ich war immer gut. Ich müsste dort drüben sein.« Sie deutete auf die Seite der Weißen.
    Ash schüttelte den Kopf. »Vor dir ist ein Weißer reingekommen, also bist du schwarz. Das hat nichts mit deinem Leben vor diesem hier zu tun. Es ist Zufall.«
    Das Mädchen starrte sie an. »Du siehst aber aus, als wärst du schlecht«, sagte sie. »Er auch.« Joel bleckte grinsend die Zähne.
    Ash zuckte wieder mit den Schultern. »Ich weiß nicht, was ich war.«
    Das Mädchen kniff misstrauisch die Augen zusammen. »Wieso nicht? Ich kann mich doch auch an alles erinnern.« Sie fing wieder an zu weinen.
    Joel wechselte einen Blick mit Ash. »Ash ist wahrscheinlich durch einen Unfall gestorben«, sagte er. »Bei den gewaltsamen, plötzlichen Toden dauert es länger, bis die Erinnerung hinterherkommt, und manchmal kehrt sie nie zurück. Schwirrt auf immer und ewig irgendwo da draußen herum und sucht nach ihrem Gedächtnis.« Er lachte kurz und rau. Ash nickte. Sie hatte Narben am Körper, die nach einem Unfall aussahen. Ihr Name war immer noch das Einzige, was sie mit Sicherheit wusste. Manchmal blitzte ein Bild auf, sah sie das Gesicht eines Menschen, hörte den Klang einer Stimme, Fetzen von Musik, roch Gerüche, die sie nicht einordnen konnte. Erinnerungen. Ob sie jemals wieder den vollständigen Zugriff auf ihre Erinnerungen, auf ihr Leben davor bekommen würde? Sie bezweifelte es. Und weil sie hier war, weil sie … tot war, bekümmerte sie dieser Verlust noch nicht einmal wirklich.
    Sie stand auf und schulterte ihren Lichtstab. »Ich muss das Zeug noch ins Lager bringen«, sagte sie. »Wir sehen uns.«
    Ausrüstung und Lichtstäbe lagen noch da, wo sie sie hingeworfen hatte. Ash steckte zwei Finger in den Mund und stieß einen schrillen Pfiff aus. Sie hockte sich auf einen Stein und zog die Jacke aus. Dieser eigentlich alltägliche Vorgang faszinierte sie jedes Mal aufs Neue. Sobald sie ihren Arm aus dem Jackenärmel zog, verloren ihre Flügel an Substanz, sie verblassten und durchdrangen das feste Leder der Jacke wie geisterhafte Auswüchse. Sobald Ash sich ausgezogen hatte, waren auch die Flügel wieder da.
    Ash inspizierte den langen Kratzer auf ihrem Arm, den sie beim letzten Einsatz abbekommen hatte. Sie hatte Glück gehabt, dass der katzenähnliche Dämon sie

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