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Projekt Armageddon

Projekt Armageddon

Titel: Projekt Armageddon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gerdom
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griff mit den Flügeln in die Luft, die mit einem Mal zu dünn war, um sie zu tragen, dünn und eisig kalt. Nacht war über ihr und um sie herum. Sie fiel mit hilflos schlagenden Flügeln wie ein Stein. Sterne blitzten durch dichtes Blattwerk. Äste knackten und Zweige peitschten nach ihr, als wollten sie sie auffangen. Ash hörte sich schreien.
    Sie sah ihn hängen. Sein Kopf war auf die Brust gesunken, die schweißbedeckt und blutüberströmt war. Helles Haar fiel über seine Schultern, die breit waren, nackt und muskulös. Der Speer durchbohrte seine Seite und nagelte ihn an die raue Rinde des Baumes. Er war übersät mit kleinen Wunden, Kratzern und Rissen, und aus der grässlichen Speerwunde lief klare Flüssigkeit. Schwarz getrocknetes Blut verkrustete seinen Körper bis hinab zu den Füßen. Er ist tot, dachte sie. Er muss tot sein. Niemand überlebt solche eine Wunde.
    Sein Kopf bewegte sich, er stöhnte.
    Sie flog näher heran. Wunderte sich in einem fernen Winkel ihres Bewusstseins, dass sie flog und nicht mehr fiel.
    Er hob den Kopf, blickte sie an. Sein Gesicht war grau, eingefallen, ausgezehrt und zu Tode erschöpft. Seine Augen, hell wie ein kalter Wintermorgen, verloren ihren matten Schleier und fixierten sie. Staunen? Todesangst? Sie konnte seinen Ausdruck nicht deuten.
    Er bewegte schwach den Kopf, um die schweißfeuchten, in seinem Gesicht klebenden Strähnen seines hellen Haars aus den Augen zu schütteln. Ash sah jetzt erst, dass er an den Baum gefesselt war. Seine Arme und Beine waren bis aufs rohe Fleisch aufgescheuert von den rauen Stricken.
    »Brynhildr, meine Tochter?«, krächzte er.
    »Nein, Ashley«, erwiderte sie. »Ich binde Sie los.« Sie flog näher und begutachtete die Knoten, mit denen er gebunden war. Sie nagte unschlüssig auf ihrer Lippe. Sollte sie nicht besser zuerst den Speer aus der Wunde ziehen? Und wenn sie den Mann losband, würde er hinabfallen. Wie sollte sie ihn halten?
    »Ash…«, sagte er mühsam. »Ashley. Midgardkind. Ich sehe dich.«
    »Das ist gut«, sagte sie automatisch. Erst den Speer, dann die Fesseln. Hatte sie etwas, womit sie die Wunde verbinden konnte?
    Ihre Hand näherte sich dem glatten Holz des Speeres, ihre Finger schlossen sich um seinen Schaft.
    Schrille Trompeten und Schreie. Schwarze Gestalten vor loderndem Feuer. Rennend, Waffen schwingend. Sterbende und in Stücke gehauene Leichen auf zertrampeltem Grund. Ein brennendes Dorf, riesige Pferde. Frauengestalten, übergroß, in schimmernder Rüstung, die Erschlagene zu sich aufs Pferd hoben.
    Ash ließ den Speer los, als hätte sie sich daran verbrannt. »Was war das?«, fragte sie atemlos.
    Er fixierte sie starr. In der Tiefe seiner Augen lauerte ein Funke, der Wahnsinn sein mochte. »Ich sehe dich«, wiederholte er. »Ich sehe die neun Welten und ihre Kinder. Ich sehe die Asen und die Hrimthursen, die Alfen und die Midgardkinder.« Er hustete, und blutige Blasen erschienen auf seinen rissigen Lippen. »Durst«, sagte er. »Sie spendeten mir nicht Speise noch Trank.«
    »Verdammt, ich habe nichts bei mir.« Ash näherte sich dem Gehängten wieder auf Armlänge. »Ich bringe Sie hier raus. Halten Sie noch ein wenig durch, bitte.«
    »Neun Tage«, flüsterte der Mann. »Acht Nächte. Ich hänge am windigen Baum, mir selbst durch mich zum Opfer geweiht.« Er hustete wieder.
    Ashley hörte ihm nur halb zu. »Welcher Verbrecher macht denn so was«, sagte sie ärgerlich und wollte erneut ihre Hand um den Speerschaft legen.
    »Odin«, sagte er laut und klar.
    Sie hielt inne. »Odin? Das war doch ein nordischer Gott. Island, die Edda, richtig?«
    Sein Blick, der matt und glanzlos nach innen geblickt hatte, wurde klar und scharf. »War?«, fragte er laut. Irgendwo über ihren Köpfen donnerte es.
    Ashley nickte und konzentrierte sich auf den Speer. Sie holte tief Luft und packte ihn zum zweiten Mal.
    Eine Halle, riesig groß und kalt. Flackernder Feuerschein erhellte sie notdürftig. Das Licht stammte von Fackeln, die stanken und qualmten, und von einigen riesigen Herdfeuern, über denen Fleisch briet. Fett tropfte zischend und stinkend in die Flammen. Lange Tische und Holzbänke, roh gezimmert, füllten die Halle, und an den Tischen saßen Männer in Leder und derber Wolle, sie tranken und aßen und schrien durcheinander. Es stank unbeschreiblich nach nassen Hunden, feuchtem Leder, ungewaschenen Körpern, bratendem Fleisch, rußendem Holz, Blut und Schweiß. Ash würgte. Sie zwang sich, das glatte Holz

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