Projekt Babylon
weitergehen.«
»Erstaunlich... Dann scheint es also zu stimmen; eine Frau kann den Durchgang betreten. Was meinen Sie, Patrick, soll sie jetzt weiter hineingehen?«
»Ja, absolut. Gehen Sie los, Stefanie.«
»Einverstanden«, sagte sie. »Also dann.« Und mit diesen Worten trat sie vor und verschwand erneut vor den Augen der anderen beiden Forscher im Gang.
10. Mai, auf der Landstraße nach Lapalme
Es war erst später Nachmittag, aber dichte Wolken verdunkelten den Himmel wie im Herbst, und der einsetzende Regen trübte zunehmend die Sicht. Didier Fauvel schaltete das Abblendlicht und die Scheibenwischer ein. Natürlich war wieder einmal kein Wasser in der Anlage, und so hinterließen die Wischblätter zunächst schmierige Streifen. Fauvel fluchte. Auf diese Fahrt war er sowieso nicht sonderlich erpicht, und nun kam auch noch eins zum anderen. Er musste sich damit abfinden, bis der Regen stark genug wurde, um die Scheiben zu säubern. Entgegenkommende Fahrzeuge erzeugten blendende Lichtbogen, in denen kleine Blättchen und Fliegenkadaver zu sehen waren – nur keine Straßenbegrenzung. Er hasste den Regen, er hasste diesen Wagen, und er hasste es, dass er jetzt hier war. Übellaunig setzte er seinen Weg fort. Es waren nur noch wenige Kilometer.
Der Regen war stärker geworden, als Fauvels alter Mercedes knirschend auf der Auffahrt einer Villa zum Stehen kam. Er hatte seinen Bruder bisher selten besucht, und wenn, dann ging es darum, dass dieser irgendwie Hilfe benötigte. Das letzte Mal hatten sie sich vor etwa einem Jahr gesehen, als Paul in Untersuchungshaft war. Es ging um Waffenschmuggel. Die Küstenwache hatte eines seiner Boote in einem ungünstigen Augenblick und mit reichlich kompromittierendem Material aufgegriffen. Didier hatte ihn mit guten Worten und noch überzeugenderen Geldsummen freigekauft, so dass es gar nicht erst zu einer gründlichen Untersuchung gekommen war. Die Akten wurden geschlossen, bevor das Deckblatt getrocknet war. Damals hatte Paul eine richtige kleine Flotte von unauffälligen Schiffen und ein gutes Dutzend »Bekannter«. Didier erhoffte sich, dass sich unter ihnen einige Leute mit ausreichend krimineller Energie befanden, um die Forscher loszuwerden – in welcher Form auch immer; um die Details sollte Paul sich kümmern.
Der Gedanke war eigentlich gut, und Paul schuldete ihm auch mehr als nur einen Gefallen. Dennoch behagte es dem Bürgermeister nicht, seinen Bruder um etwas bitten zu müssen. In seinem zehn Jahre alten Benz vor dessen feudaler Villa stehen zu müssen, widerte ihn regelrecht an. Aber es gab Gründe, die wesentlich gewichtiger waren, und in diesem Zusammenhang hatte er seinem Stolz schon seit langem abschwören müssen.
Er sah auf die Uhr. Kurz vor fünf. Er war auch noch zu früh da! Aber nun im Wagen zu warten, um sich absichtlich eine Viertelstunde zu verspäten, war mindestens genauso dämlich. Also stieg er aus, lief durch den Regen, die Stufen zur Tür hinauf und klingelte.
»Didier!«, rief sein Bruder aus, als er öffnete. »Ich hatte so früh noch gar nicht mit dir gerechnet! Komm doch rein!«
»Ich war sowieso gerade in Perpignan«, antwortete der Bürgermeister, als er eintrat. Er ließ seinen Blick einmal unauffällig durch die Eingangshalle schweifen. Wie immer war sie wie geleckt, einzelne Designermöbel und teure Bilder waren geschickt platziert; Pauls Version des Understatements, das aufdringlicher schon nicht mehr sein konnte. Eine feingliedrige, dünn bekleidete junge Frau mit überraschender Oberweite trat heran.
»Marie, Schatz, nimmst du Didier bitte seine Jacke ab? Und dann sag Anabel Bescheid, dass wir was Warmes zu knabbern wollen. Du kannst dann Video gucken oder baden oder was auch immer. Ich schau nachher noch mal rein.« Die Frau nahm die Jacke des Bürgermeisters, hängte sie auf einen Ständer neben der Tür und ging davon.
»Eine Freundin«, erklärte Paul. »Aber komm doch mit, wir setzen uns am besten ins Wohnzimmer. Ich bin gespannt, was dich herführt.«
Was Paul als Wohnzimmer bezeichnete, war ein regelrechter Saal, der neben einem gewaltigen Esstisch auch mehrere Ledergarnituren und einen Kamin enthielt. Und noch immer hätte man bequem darin tanzen können. Aus seinen vorherigen Besuchen wusste Didier, dass man durch die große Fensterfront aufs Mittelmeer blicken konnte. Doch da es draußen schon fast ganz dunkel war, sah man nun hauptsächlich die Spiegelung des Zimmers, das dadurch allerdings nur umso größer
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