Projekt Ikarus 01 - Schatten und Licht
schaffen!«
»Aber natürlich schaffst du es.« Sams Hände sind stark und sanft. Sie massieren all ihre Anspannung weg.
»Nein, werde ich nicht! Ich gehe immer nach dem Lehrbuch, beachte die Schrittfolgen, tue immer, was man von mir erwartet. Aber dann kommt Iri und improvisiert irgendetwas, und ich lande auf der Nase, und sie setzt mir ihren Fuß in den Nacken!« Jet lässt ein gepresstes Lachen hören. »Wie, bitte, soll ich denn lernen zu improvisieren?«
»Das gelingt dir super, Liebes. Iri ist es eben gewohnt, sich ihre eigenen Gedanken zu machen. Und es macht ihr nichts aus, im Kampfauch unfaire Mittel anzuwenden.«
»Wir sollen aber nicht mit unfairen Mitteln kämpfen.«
»Ich weiß. Aber ich denke, das ist eben einfach so an der Akademie. Ich glaube, draußen, in der realen Welt, kämpfen wir, um zu gewinnen.«
»Wenn sich die reale Welt nicht so verhält, wie ich es erwarte, dann bekomme ich immer Probleme.« Sie schließt ihre Augen und lehnt sich an seine breite Brust. »Ich kann das nicht. Ich bin keine Heldin.«
»Doch, Jet, das bist du.« Er dreht sie zu sich herum, fasst ihr Kinn und hebt behutsam ihren Kopf, bis sie ihm direkt in die Augen schaut. »Wir alle sind Helden, jeder Einzelne von uns. Wir haben unsere Kräfte aus einem ganz bestimmten Grund. Wir sind dazu da, den Menschen zu helfen.«
Und sie: »Ich kann aber nicht das tun, was Iri tut.«
Er lächelt und streichelt ihre Wange. »Dann tu doch einfach, was Jet tut.«
»Ich hab keine Ahnung, was das ist.«
»Aber du hast eine Menge Zeit, um es herauszufinden. Du bist eine Heldin, Süße. Auch wenn du dich noch nicht wie eine fühlst. Mach dir keine Sorgen. Es wird alles gut werden.«
Jetzt redete wieder der Superintendent. Er schickte sich gerade an, noch jemanden anzukündigen, der darüber sprechen würde, wie wichtig Helden waren und warum sie alle stark sein mussten, und der wieder kein einziges verdammtes Wort über Sam verlieren würde.
Das war das Einzige, was heute eine Rolle spielte: Der heutige Tag gehörte Sam.
Jet erhob sich.
»Was machst du?«, zischte Iri. »Setz dich hin!«
Jet drängelte sich aus ihrer Stuhlreihe, trat auf Füße, die niemand wegzog, und hinterließ ein Summen aufgeregter Stimmen. Die Videokameras richteten sich erst auf sie, als sie den Mittelgang hinunterschritt und auf die Bühne zuging. Und dann umringten sie sie mit ihren grellen Lampen. Die Stille, die plötzlich eintrat, war so dick, dass sie kaum das Surren der Kameras hören konnte.
Es spielte keine Rolle. Das Einzige, was eine Rolle spielte, war, Sam Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.
Er hätte dasselbe für sie getan.
Niemand hielt Jet auf, als sie die Bühne betrat, und als sie das Podium erreichte, sagte der Superintendent in den Raum hinein: »Aber zuvor möchte eine Schülerin des dritten Ausbildungsjahres ein paar Worte sagen. Jet, bitte.«
Sie starrte ins Publikum, doch alles, was sie sehen konnte, waren die Lampen der Videokameras und die Bühnenscheinwerfer. Und obwohl sie nicht die geringste Ahnung hatte, warum sie auf der Bühne stand oder was sie sagen wollte, öffnete sie den Mund und sprach.
»Es geht hier nicht darum, weshalb wir Helden sind.« Ihre Stimme war ganz sanft. Hätte dort nicht ein Mikrofon gestanden, dann hätten nicht einmal die Leute in der ersten Reihe sie gehört. »Es geht auch nicht darum, warum die Welt ist, wie sie ist. Es geht um einen 15-jährigen Jungen, der Samson genannt wurde. Aber sein richtiger Name war Joseph Rogers.«
»Du kannst mich Joe nennen«, sagt er im zweiten Ausbildungsjahr zu ihr. Es ist der Tag, an dem er ihr aus Lancers Unterricht nachgelaufen ist.
»Es ist uns nicht gestattet, unsere richtigen Namen zu benutzen«, erwidert sie.
»Jaja. Und den Lehrern ist es nicht gestattet, ganz nach Belieben die Regeln zu brechen.« Sein Lächeln ist breit, riesig. Sein ganzes Gesicht ist ein einziges Lächeln. »Und wir sollen ihnen nicht widersprechen. Wenn dir Joe nicht gefällt, kannst du mich Sam nennen. Das machen viele.«
Sie lacht leise und streckt ihm ihre Hand hin. »Ich bin Joan. Joannie.«
»Joe gehörte zu den Erdmächten«, fuhr Jet fort und benutzte absichtlich seinen richtigen Namen, auch wenn er sich auf ihrer Zunge fremd anfühlte. »Und er war unglaublich stark. Aber er war auch nett. Und liebenswert. Er hat immer allen geholfen, wo er nur konnte. Und er hatte keine Angst, seine Meinung zu sagen, wenn er etwas unfair oder ungerecht fand.«
»Aber Sir«,
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