Projekt Ikarus 01 - Schatten und Licht
enttäuschen.«
Iridium stand auf und ging hinaus. Das war ihr lieber, als den Rest der Rede mit anhören zum müssen. Sie hatte den Gang draußen kaum erreicht, als die Temperatur plötzlich absackte und Night aus einer im Schatten verborgenen Tür trat.
»Du solltest versuchen, dich für deine Freundin zu freuen.«
»Hurra. Es leben die Laufburschen von Corp!«, gab Iridium mit versteinerter Miene zurück.
Night beugte sich zu ihr hinunter. Genauso wie damals, als er gedroht hatte, ihr den Arm zu brechen. »Sieh dich vor, Iridium. Es gibt einige Leute an dieser Schule, die viel zu viel von deinem Vater in dir wiedererkennen.«
»Und warum ist das so schlimm? Helden sind dazu da, um den Menschen zu helfen. Nicht um für Geld zu posieren und sich zum Affen zu machen.«
Night schüttelte den Kopf. »Du redest genau wie er, aber du bist nicht halb so clever. So ist die Welt nun mal, Iridium. Sie lebt von Posen und Gesichtern, die jeder kennt. Je eher du das begreifst, desto besser für dich.«
»Bei allem Respekt, Sir«, entgegnete Iridium und ging um ihn herum. »Ich hoffe, das wird niemals geschehen.«
Night erwiderte nichts, aber bis sie in den Gang zu den Schlafräumen abbog, spürte sie seinen Blick im Rücken, kalt und hart wie ein Messer.
Jet klopfte zweimal flüchtig an die Tür, dann trat sie ein. Der riesige Mann hinter dem Schreibtisch blickte kurz von seinem Computer auf. Sein Gesicht verfinsterte sich. Der Metallbolzen, mit dem sein linker Arm an der Schulter befestigt war, glänzte im Licht. »Na, sieh mal einer an«, sagte Lancer. »Der Liebling der Akademie kommt mich besuchen. Raus mit dir, Mädchen. Ich bin beschäftigt.«
Jet, die jetzt nicht mehr das ängstliche Mäuschen war, ignorierte nicht nur die Feindseligkeit in seiner Stimme, sondern auch das, was Lancer gesagt hatte, und schloss die Tür hinter sich. Sie brauchte ihn. Er war der Einzige, der ihr helfen konnte. Mit einem strahlenden Lächeln setzte sie sich auf den Stuhl ihm gegenüber. »Danke, dass sie mich empfangen, Sir.«
Der finstere Blick verwandelte sich in ein Zähnefletschen.
»Vielleicht solltest du mal dein Gehör untersuchen lassen. Ich sagte, raus mit dir.«
»Sir, ich bin hier, weil ich Sie um Hilfe bitten möchte.«
Lancer setzte ein höhnisches Grinsen auf. »Warum gehst du nicht zu einem der anderen Ausbilder oder zu einem Proktor? Corp hat einen Narren an dir gefressen, du hast die Stadt praktisch in der Tasche. Jeder würde doch liebend gerne einen Salto rückwärts machen, um dem Kleinen Schatten helfen zu dürfen.«
Aus Lancers Mund den Beinamen zu hören, den Night ihr gegeben hatte, ließ sie innerlich vor Wut schäumen. Aber sie unterdrückte das Gefühl und lächelte noch ein bisschen strahlender. Sie hatte geübt. Sie wusste, dass sich ihr Lächeln in ihren Augen spiegelte, auch wenn sie ihm am liebsten seine Armprothese herausgerissen hätte. Sie war auf dem besten Wege, eine richtig gute Schauspielerin zu werden.
Night wäre hocherfreut.
Jet sagte: »Aber Sir, was aggressive und defensive Kampftaktik angeht, sind Sie der beste Lehrer an dieser Schule.«
Lancers Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. »Willst du mir etwa schmeicheln, Mädchen?«
»Nein, Sir. Es ist die reine Wahrheit. Sie sind der beste Lehrer für Kampfsport und Straßenkampf an der ganzen Akademie. Es wäre einfach dumm von mir, mich an jemand anderen zu wenden.«
Was machte es schon, dass er ein ziemlicher Nichtskönner war, der kaum drei Jahre im aktiven Dienst der Schwadron herumgebracht hatte, mehr recht als schlecht. Jet lächelte sittsam.
Einen Augenblick später lehnte sich Lancer in seinem Stuhl zurück. »Nun, ich denke, ich kann mir zumindest anhören, was du zu sagen hast, bevor ich dich rauswerfe.«
»Vielen Dank, Sir«, erwiderte Jet, und sie meinte es ehrlich. »Wenn ich in einen Kampf verwickelt bin, reagiere ich zu langsam. Ich muss unbedingt meine Reaktionszeit verkürzen. Können Sie mir dabei helfen?«
»Das ist reine Übungssache, Mädchen«, schnaubte Lancer verächtlich. »Je öfter du kämpfst, desto besser wirst du werden. Oder du kommst ins Krankenhaus. Oder auf den Friedhof.«
»Ich übe und übe, Sir. Ich verbringe Stunden in der Turnhalle und auf den Matten. Ich mache Trainingskämpfe mit jedem, den ich in die Finger kriege. Ich kenne die Regeln auswendig, habe jede einzelne Bewegung einstudiert. Hier, in der Akademie, bin ich schnell. Aber da draußen, wo es wirklich drauf ankommt, bin
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