Projekt Ikarus 01 - Schatten und Licht
mutig durch die Finsternis gekämpft hatten. Ein kurzes weißes Aufflackern, das schnell von Schwärze verschlungen wurde.
Zur Hölle mit ihr! Wie hatte sie ihr das antun können? Wie konnte sie ihnen allen ein Schnippchen schlagen und einfach so verschwinden? Helden taten so etwas nicht!
Aber Iridium hatte damit bewiesen, dass sie keine Heldin war. Sondern eine Abtrünnige, genau wie ihr Vater.
Mit geballten Fäusten auf den Oberschenkeln ließ Jet sich langsam zu Boden sinken. Schließlich kniete sie vor der aufgehenden Sonne, als wollte sie im Angesicht des Lichts Buße tun. Oder vor Gott oder vor irgendeiner anderen höheren Macht, die ihr Schicksal wirklich kümmerte.
Wie hatte Callie diesen Mann nur töten können? Jet verstand es einfach nicht; die bloße Vorstellung, dass ein Held jemanden tötete, war ihr ganz und gar fremd. Ja, natürlich gab es in einem Kampf Opfer auf beiden Seiten. Aber die waren zu rechtfertigen. Im Kampf, im Krieg gegen das Böse und die Ungerechtigkeit, wurden Menschen verletzt, und manchmal passierten auch Unfälle.
Aber Iridium hatte diesen Mann wissentlich und völlig kaltblütig getötet. Sie hätte sich bremsen können. Bremsen müssen.
Aus einem finsteren Winkel ihres Gehirns vernahm Jet Gelächter. Stirnrunzelnd versuchte sie, die Frequenz für das weiße Rauschen in ihrem Ohrknopf wieder richtig einzustellen.
Wie kannst du überhaupt einen einzigen klaren Gedanken fassen mit diesem Ding im Ohr? Iris Stimme hatte einen sanften, verführerischen Klang. Wie weiße Schokolade.
Callie, wie konntest du nur diesen Mann umbringen?
Iri lachte. Ich empfinde nicht das kleinste Fünkchen Bedauern für Paul Collins.
Jet wusste, es stimmte. Und es brach ihr das Herz.
Es tut mir nicht leid, wisperte Iris Stimme. Überhaupt nicht.
Jet schrie dem Himmel ihre ganze Wut entgegen, ihren ganzen Kummer. Und in ihrem Kopf kicherte es. Schließlich versagte ihr die Stimme, und sie verstummte. Das Echo ihrer Schreie verhallte in der Ferne.
»Ich dachte mir schon, dass ich dich hier finde.«
Ihr Rücken versteifte sich, und sie vermied es bewusst, sich umzudrehen, um Night ins Gesicht zu blicken. Sie hörte ihn näher kommen. Dicht hinter ihr blieb er stehen.
»Du solltest schlafen. Morgen ist ein großer Tag. Erst deine Gerichtsverhandlung und dann die Abschlussprüfung. Vorausgesetzt, du wirst nicht von der Akademie verwiesen.« Night schnaubte. »Aber ich glaube kaum, dass sie dich rauswerfen. Nicht, solange du das Lieblingskind von Corp bist und die zukünftige Heldin von New Chicago.«
Jet stand schweigend auf. Sie vermied es, Night anzusehen.
Stille breitete sich zwischen ihnen aus. Die aufgehende Sonne ergoss ihre ersten Strahlen über die Stadt.
»Trotzdem«, sagte Night nach einer ganzen Weile, »steckst du immer noch bis zum Hals in der Scheiße. Sowohl Corp als auch die Akademie brauchen um jeden Preis einen Sündenbock. Für den Fall, dass ihre Versuche der Schadensbegrenzung in den Medien fehlschlagen. Ich bin hier, um dir ganz offiziell die Leviten zu lesen.«
Jet hob ihr Kinn. »Es ist mir vollkommen bewusst, Sir, dass meine Heldenkarriere beendet ist, falls Iridiums Flucht öffentlich bekannt wird.«
»Wenn sie ihrem Vater auch nur ein bisschen ähnlich ist«, sagte Night trocken, »dann wird dieser Ausbruch eines ihrer geringsten Verbrechen sein. Ich gebe ihr genau drei Monate, bis sie das erste Mal mit dem Gesetz in Konflikt kommt.«
Bei diesen Worten drehte sie sich um und sah ihrem Mentor ins Gesicht. »Das würde sie nicht tun«, sagte sie voller Überzeugung.
»Glaub mir, ich kenne die Familie Bradford nur allzu gut.« Nights Augen funkelten unter seiner Kapuze. Vielleicht vor Vergnügen. »Lester hat bereits die Dinge getan, für die er später als Arclight bekannt wurde, als er noch Mitglied der Schwadron war. Kleinkram. Angefangen hat es mit der Missachtung von Vorschriften. Nachlässigkeiten. Schlechten Reden über die Akademie, die Schwadron, sogar Corp. Kommt dir das irgendwie bekannt vor?«
Jet wand sich.
»Sie ist genauso arrogant wie ihr Vater«, fuhr Night unerbittlich fort. Er trat neben Jet und starrte ebenfalls in den immer heller werdenden Himmel. »Sie glaubt, sie steht über allem und jedem. Weigert sich, die Vorschriften anzuerkennen, wenn sie unbequem sind.«
»Damit hat sie schon immer ein Problem gehabt«, murmelte Jet.
»Sie ist schlauer, als gut für sie ist.« Night nickte ihr zu. »Genau wie ihr Vater. Solchen Leuten wird schnell
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