Projekt Ikarus 01 - Schatten und Licht
einmal zu, wenn man schon am Boden lag. Und Jet war körperlich und geistig viel zu ausgelaugt, um dieses Spielchen mitzumachen. Zumindest gab es ein bisschen Licht in dem kleinen Raum. Ohne ihre Schutzbrille und ihr Comlink wäre sie sonst den Schattenstimmen völlig schutzlos ausgeliefert.
Wenigstens etwas. »Was willst du, Iridium?«
»Was ich will?« Iridium bellte ein raues Lachen. »Ich will, verdammt noch mal, so schnell wie möglich raus hier und Taser in die Finger kriegen. Mein Gott, hältst du mich wirklich für so durchgeknallt, dass ich mir selbst Betäubungshandschellen anlege, nur, um ein Spielchen mit dir zu treiben?« Sie schüttelte den Kopf. »Ich bin hier gefangen, genau wie du.«
Unmöglich, erklärte ein Teil von Jets Kopf. Iridium ist eine Abtrünnige. Man kann ihr nichts glauben.
Aber so dachte nur ein sehr kleiner Teil ihres Gehirns. Der Teil, der die Leitsätze der Akademie nachplapperte und stets darauf bestand, dass die Pflicht zuerst kam. Die Pflicht zuerst. Immer. Der Teil, der lächelte, wenn er daran dachte, wie viel Gutes Jet tat, und an all die Menschen, denen Jet half. Der dachte, wie wunderbar es war, eine Heldin zu sein und Corp hinter sich zu wissen und an ihrer Seite.
Der Rest von Jets Gehirn aber, der Teil, der sich an Jets Kindheit erinnerte, der die Dunkelheit fürchtete, weil er wusste, dass sie scharfe Reißzähne hatte, der sich nach den Happy Ends in ihren Liebesschnulzen sehnte und der – manchmal – dachte, dass sie gar nicht mehr wusste, wer sie eigentlich wirklich war, dieser Teil flüsterte ihr zu, dass Iri die Wahrheit sagte.
Jet verspürte Unbehagen. »Ach, Blödsinn. Dein Lover hat mich doch erst in diese beschissene Lage gebracht.«
»Scheint, als ob wir uns auseinandergelebt hätten«, gab Iridium sarkastisch zurück. »Wenn man bedenkt, dass er mich in diese beschissene Lage gebracht hat. Hat mich mit meinem eigenen Neuralinhibitor außer Gefecht gesetzt, der Mistkerl.«
»Die Dinger sind illegal.«
»Jaja. Ich geb’s ja zu. Ich habe Fehler gemacht. Verbrechen zahlt sich nicht aus. Blablabla.« Iridium schwieg. Im schwachen Licht sah sie müde aus, ihr Gesicht bleich und gezeichnet. »Meine eigene verdammte Schuld. Der Dank dafür, dass ich ein einziges Mal wieder jemandem vertraut habe.«
Die Worte versetzten Jet einen Stich. »Ich habe dir auch vertraut.«
Iridiums Mund verzog sich zu einem widerwärtigen Grinsen. »Du hattest eine verdammt tolle Art, das zu zeigen. Wie lange hast du gebraucht, bis dir klar wurde, dass du mich an Corp verraten wirst?«
Die bloße Erwähnung dieses Namens ließ bei Jet alle Alarmglocken schrillen. »Vielleicht kannst du es ja nicht verstehen.«
»Was denn verstehen? Dass du unsere Freundschaft für ein bisschen Heldenglamour verkauft hast?«
»Iri –«
»Nein. Nur meine Freunde nennen mich so. Dir steht das nicht mehr zu.«
»In Ordnung. Iridium. Du verstehst nicht, was genau damals passiert ist.«
»Richtig. Sprach die hohe, allmächtige Jet, Lady der Schatten, Heldin von New Chicago.« Iridium schnaubte vor Verachtung. »Du bist so verdammt überheblich. Als ob du mir nicht vor fünf Jahren brutal in den Rücken gefallen wärst.«
»Und du bist so verflucht egozentrisch«, erwiderte Jet. Sie schüttelte den Kopf. In ihrem Herzen kämpften Zorn und Traurigkeit miteinander.
Iridium verdrehte die Augen. »Das will schon was heißen, wenn du das sagst.«
»Verdammt noch mal, Iri! Ich habe dir geholfen 1 .«
»Du hast dafür gesorgt, dass sie meinen Hintern nach Blackbird verfrachten wollten! Das lässt sich wohl kaum als Hilfe bezeichnen, auch wenn man den Begriff ziemlich weit auslegt!«
»Du weißt ja gar nicht, wovon du redest«, knurrte Jet. Sie erinnerte sich daran, wie sie Night an diesem schicksalhaften Tag auf Knien angefleht hatte, ein gutes Wort für Iridium einzulegen. Wie er dagestanden und sie verhöhnt hatte.
»Ach ja?«, fauchte Iridium wütend zurück. »Du hättest mir Rückendeckung geben sollen, Joan! Wir waren Partner. Scheiße -wir waren Freundinnen. Erinnerst du dich? Wie oft bin ich an der Akademie für dich eingetreten? Wie viel Ärger habe ich mir eingehandelt, weil ich immer auf dich aufpassen musste?«
»Ich habe nie von dir verlangt, dass du auf mich aufpassen sollst!«
»Aber du hast unsere Freundschaft verraten, nur wegen der Akademie und Corp!«
»Ich habe damals getan, was ich tun musste, eben weil wir Freundinnen waren«, schrie Jet. »Weil jemand für dich
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