Projekt Ikarus 02 - Im Zwielicht
Wohnzimmer gestürmt, hatte ihn angesprungen und voller Begeisterung umarmt.
»Nigh!« rief sie glücklich aus und drückte sich ganz fest an ihn. »Hi, Nigh!« Der Reim löste einen Kicheranfall bei ihr aus, wie jedes Mal. Sie hatte ihn schon mit zwei als Kosewort für Night auserkoren, und dabei war es geblieben.
Night hatte gelacht. Er hatte noch nie Geduld mit kleinen Kindern gehabt. Die waren meistens laut und rochen schlecht. Und überhaupt waren sie im Großen und Ganzen eher unerfreuliche Erscheinungen. Aber er konnte nicht umhin zuzugeben, dass er eine Schwäche für den kleinen Schatten hegte – er hatte sich sogar anstecken lassen von der Begeisterung, die das Mädchen für ihn an den Tag legte, und von ihren Versuchen, Schattenpuppen zu machen. Als ihm Angelicas blaues Auge wieder einfiel, waren er und sein Partner bereits zur Tür hinaus gewesen. Blackout war ganz aufgeregt und schwärmte wie verrückt davon, eine neue Schattentechnik auszuprobieren. Die beiden hatten sich den größten Teil der Patrouille über die Arbeit unterhalten. Und im Laufe des Tages hatte Night die Sache mit Angelica einfach vergessen.
Aber jetzt fiel ihm der rohe Schmerz wieder ein, den er in ihrem Gesicht gesehen hatte. Wie eingeritzt. Und knurrend vor Wut hieb er Blackout seine Faust in den Unterkiefer.
Der Kopf des anderen Mannes klappte nach hinten. Doch selbst als Night den Schlag voll auskostete und erst dann seine Faust wieder zurückzog, blieb Blackout so stehen, den Kopf seitlich nach hinten verdreht, während sein Unterkiefer anzuschwellen begann. Leise lachend rieb er sich langsam über die getroffene Gesichtshälfte.
»Du hast Calendar Man das Rückgrat gebrochen«, sagte Night mit einem bedrohlichen Grollen in der Stimme. »Und letzte Woche hast du den Schatten benutzt, und beinahe Succuba zu Tode gequetscht.«
»Knapp daneben ist auch vorbei«, erwiderte Blackout, die Lippen zur grausigen Parodie eines Grinsens verzogen.
»Du bist genauso schlimm wie die Verbrecher, die wir bekämpfen.«
»Und du hast mich eben nur liebevoll angetippt, ja?«
»Ich versuche bloß, dir etwas Verstand einzubleuen!« Night fiel auf, dass er schrie, und er senkte die Stimme, ehe er fortfuhr. »Reiß dich zusammen, George! Du kannst nicht einfach rumlaufen und böse Jungs verstümmeln.«
»Je doller sie hinken, desto geringer die Chance, dass sie dasselbe noch mal machen.«
»Und desto größer die Chance, dass du zur Evaluierung in die Therapie geschleift wirst.« Er sah Blackout tief in die Augen. Von dort starrte der Schatten zurück. »Gewaltausbrüche sind eine Sache. Aber du hast es zu weit getrieben. Das muss aufhören, George, und zwar hier und jetzt.«
Blackout gluckste leise. »Wie war das noch mal: Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen?«
»Hier und jetzt ist Schluss damit«, wiederholte Night. »Und lass die Finger von deiner Frau.«
»Jetzt mal schön langsam«, erwiderte Blackout gekränkt. »Wir denken über Schattenkind Nummer zwei nach. Könnte ein bisschen schwierig werden, wenn ich sie nicht anfassen darf.«
»Mach so weiter, und sie wird bald das Nationale Bündnis gegen häusliche Gewalt als Sponsor haben.«
Blackout erstarrte. Sein Grinsen sah aus wie ein gefangener Schrei.
Als Night wieder sprach, klang seine Stimme kälter als der Schatten, den er beherrschte. »Und falls mir jemals auch nur der Verdacht kommen sollte, dass du der Kleinen wehtust, dann werde ich vergessen, dass wir jemals befreundet gewesen sind.«
Schatten schwammen in Blackouts Augen, sickerten aus jeder Pore, krochen über seine Haut. Dann nahm der Mann einen tiefen, bebenden Atemzug, und die Schwärze sank in seinen Körper zurück.
»Oh Gott«, flüsterte er und kniff die Augen zusammen. »Manchmal weiß ich überhaupt nicht mehr, wer ich eigentlich bin.«
»Du bist ein Held«, sagte Night und presste eine Hand fest auf die Schulter seines Partners. »Daran kannst du dich halten.«
»Kann ich«, sagte Blackout. Er klang nicht überzeugt, nickte aber trotzdem. »Kann ich.«
»Du musst.«
»Rick«, flehte Blackout, »bitte, sag niemandem was davon.«
Night machte ein Geräusch, das zweierlei bedeuten konnte: Zustimmung oder dass er darüber nachdenken würde.
Die beiden Männer kehrten ins Hauptquartier der Schwadron zurück. Beide gaben vor, zwischen ihnen sei alles in Ordnung. Und dann beging Night jenen Fehler, der den Lauf der Dinge für immer verändern sollte: Er erstattete keinen Bericht über
Weitere Kostenlose Bücher