Projekt Sakkara
dir zu hören«, sagte Melissa. »Normalerweise hört man nur Esoteriker so reden.«
»Das weiß ich ja selbst! Deswegen erzähle ich dir das doch alles. Ich halte auch nichts von solchem esoterischem Quark und New-Age-Geschwafel. Aber das Erlebnis in der Höhle hat etwas in mir ausgelöst. Ich spüre und verstehe, dass es etwas gibt, das größer und älter ist als diese ganzen Glaubenskonstrukte. Du glaubst ja gar nicht, was man uns schon für einen Unsinn erzählt hat, von semitischen Abstammungslinien, den Erbauern des Turms von Babylon, von Rosenkreuzern, ketzerischen Tempelrittern, Archiven von Martin Luther und was nicht noch alles. Und dann kommst du mit Aleister Crowley und seinem lächerlichen Satans-Orden. Nicht nur, dass ich es für falsch und vielleicht sogar gefährlich halte. Es verblasst auch zu absoluter Bedeutungslosigkeit vor dem, auf dessen Spur wir jetzt sind.«
Patrick stand auf und stellte sich an die Terrassentür, wo er einen letzten Zug nahm und die Kippe nach draußen schnippte. »Jedenfalls, und jetzt komme ich auf den Punkt, jedenfalls liegt etwas vor uns, das ich nicht mit dir teilen kann, solange du nicht auf der selben Stufe stehst wie ich.« Er verdrehte die Augen. »Meine Güte, was rede ich für einen Scheiß! Aber so in etwa meine ich es. Verstehst du? Ach, ich weiß auch nicht, wie ich es sagen soll!«
Melissa trat auf ihn zu und legte ihre Hand auf seine Schulter. »Nein, ich weiß schon, was du meinst.« Ihre Stimme war ruhig, fast behutsam. »Es klingt wertend, und das möchtest du vermeiden. Aber das sind Themen, über die sich nur schlecht mit anderen Begriffen reden lässt. Ich wundere und freue mich, das von dir zu hören ... Komm, setz dich, jetzt möchte ich dir etwas erzählen.«
Sie ließen sich nieder, und Melissa trank ihren Wein aus. Dann sagte sie. »Als ich dich kennengelernt habe, warst du gradlinig, direkt und forsch. Du machtest einen oberflächlichen Eindruck, aber was mich an dir faszinierte, war nicht der unverschämte, selbstsichere Patrick, sondern etwas, was dahinterlag. Das konnte ich von Anfang an spüren. Du warst fast schüchtern, wenn wir uns unterhalten haben, und ich habe versucht, dich aus der Reserve zu locken. Schon gestern Abend kamen dann plötzlich tiefe Weisheiten aus dir heraus wie funkelnde Kostbarkeiten. Wahrheiten, die ich ebenfalls so sehe, aber noch nie mit solcher Selbstverständlichkeit und in so klaren Worten ausgesprochen gehört habe. Ich habe über das nachgedacht, was du gesagt hast, darüber, was unsere Aufgabe im Leben ist, und dass nicht wir selbst und unser Wille, sondern unser Handeln im Zentrum stehen soll und muss. Und zwar das Handeln im Dienst der uns Umgebenden und uns Folgenden. Ich glaube sogar, wenn man den Gedanken weiterspinnt, dass es keine Trennung zwischen dir und mir und den anderen Menschen gibt. Tatsächlich sind wir ein großes, gemeinsames Gefüge.«
Patrick wusste für einen Augenblick nicht, was er sagen sollte. Melissas Einsicht überraschte ihn, wenngleich er in gewisser Weise gehofft hatte, dass sie verstehen und auf diese Weise reagieren würde.
»Tatsächlich«, sprach Melissa weiter, »mache ich mir nicht erst seit heute Gedanken darüber. Das ist ein philosophisches Gefüge von großer Tragweite, und du kannst dir vorstellen, dass man auf Teile davon überall trifft, wenn man sich mit den religiösen Fragen und dem Ursprung unseres Wissens beschäftigt. Darin sind wir uns sehr ähnlich.«
»Daher wundert es mich ja auch so – nein, es macht mich richtiggehend wütend, dass du in dieser Sekte mitmischst. Ich bin auf einem anderen Weg, und ich kann dich nicht mitnehmen. Verstehst du das?«
»Du musst dir keine Gedanken machen. Ich habe mich den Leuten nicht angeschlossen, weil ich an ihren Lippen hängen, ihnen gehorchen, mich ihnen unterordnen will. Diese Leute sind verwirrt und haben selbst die geringste Ahnung davon, wie die Dinge sind. Die Hälfte von dem Zeug, das sie glauben, ist bedeutungsvoll scheinender Wirrwarr, die andere Hälfte ist hausgemachter Unsinn. Aber dazwischen stecken ein paar gute Gedanken. Deswegen habe ich mich ihnen angeschlossen, um einen Zugang zu haben, um ihre Wege und ihre Lehren zu recherchieren und mir das herauszuziehen, was ich für sinnvoll erachte. Mein Interesse an ihnen geht nicht darüber hinaus.« Sie deutete auf das Bild. »Er hier, Aleister Crowley, war nichts weiter als ein selbstverliebter Guru, einer, der nicht entscheiden konnte, ob er Dandy,
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