Projekt Sakkara
gedauert, bis wir damals daraufkamen.«
»Ich kann mir nur schwerlich etwas Mächtigeres und Gefährlicheres als ein Übermaß an Wissen vorstellen«, antwortete sie, »daher lag die Vermutung nahe. Aber warum können wir dann hier einfach so herumstehen, immerhin ist es hier überall hell, und nichts passiert.«
»Ich wäre nicht so sicher, ob einem wirklich nichts passiert«, sagte Peter und deutete auf einen Fleck einige Meter vor ihm.
Patrick und Melissa traten näher. Dort lag eine weitere Leiche, ähnlich gekleidet wie die anderen, die sie gefunden hatten. Die Haut war verfault, Reste einer schmierigen Substanz überzogen den Kopf, der Schädelknochen schimmerte an vielen Stellen hervor. Der lippenlose Mund war in einem grauenvollen, endlosen Schrei aufgerissen und ermöglichte einen Blick in die zerfallenen Reste der Mundhöhle. Der Tote hatte die Arme über der Brust in einer abwehrenden Haltung verkrampft, die Fingerknochen stachen wie Krallen hervor. So plötzlich dieser Mensch auch gestorben sein mochte, so entsetzlich musste sein letzter Atemzug gewesen sein.
»Verflucht!«, brachte Patrick hervor. »Das sieht überhaupt nicht gut aus!«
»Nein, ganz und gar nicht«, sagte Peter. »Und ich ahne auch, was hier passiert ist.«
Melissa und Patrick sahen ihn an, und der Professor deutete auf die beiden Säulen, die sich einige Schritte vor ihnen links und rechts des Weges erhoben. Sie waren in jeder Hinsicht außergewöhnlich. Nicht nur, weil sie einem Portal gleich den Weg zur Mitte flankierten, sondern weil sie nicht aus Stein gefertigt waren wie die anderen. Die linke der beiden Säulen glänzte in einem unwirklich kräftigen, gelben Farbton, der keinen Zweifel daran ließ, dass sie aus Gold sein musste. Und die Säule zu ihrer Rechten war ganz aus grünem Stein gefertigt, der auf den ersten Blick wie grüner Marmor oder Malachit ausgesehen hatte, der aber bei näherer Betrachtung durchscheinend war, fast wie Jade, und in einem Farbton, der auf nichts anderes als Smaragd hindeutete.
Diese beiden Säulen, deren Eigenheiten nun erst so deutlich aus dem wechselnden Licht der Höhle hervortraten, waren für sich genommen wertvoller als alle Schätze Ägyptens zusammengenommen.
Aber was Peter meinte, war nicht das Material, aus dem sie gefertigt waren, sondern die darauf befindlichen Zeichen. Es war eine Schrift, die bis auf die Tatsache, dass sie aus einer Vielzahl fast bildlich scheinender Zeichen bestand, keine Ähnlichkeit mit den ägyptischen Hieroglyphen hatte. Genau genommen sah sie nicht wie eine Schrift aus, die einer von ihnen schon mal gesehen hatte. Daneben waren auch szenische Darstellungen auf den Säulen zu sehen, und eine stach dabei ganz besonders hervor.
Zwei Säulen waren darauf abgebildet, zwischen denen eine Waage mit zwei Waagschalen zu sehen war. Eine der Schalen war leer, die andere war ein wenig nach unten gesenkt, und auf ihr lag eine Feder.
»Sehen Sie dort?«, sagte Peter. »Das ist eine ganz zentrale Szene, die die ägyptische Glaubenswelt durchdringt. Der Tote kommt im Jenseits vor ein Gericht. Dort wird sein Herz, das als Sitz der Seele verstanden wurde, gegen eine Feder aufgewogen. Eine ähnliche Prüfung eines lauteren Lebens vor dem Eingang in das Jenseits finden wir in fast allen Religionen.«
»Von dieser Szene habe ich geträumt!«, entfuhr es Patrick.
»Und du hattest es mir erzählt«, sagte Melissa. »Das ist unglaublich!«
»Ich fürchte jedoch«, sagte Peter, »dass anders als bei den religiösen Legenden dieses hier wesentlich konkreter gemeint ist.« Er wies auf eine weitere Zeichnung. »Sehen Sie das Wesen, das dort neben den Säulen sitzt?« Sie betrachteten die Abbildung eines albtraumhaften Monsters, das fast behäbig auf dem Boden saß, dessen Maul allerdings mit einer Unzahl langer Reißzähne bestückt war, von denen in zähen Fäden Geifer auf den Boden troff. »Das ist eine Seelenfresserin«, fuhr Peter fort. Dann deutete er auf die Leiche. »Und das dort ist eines ihrer Opfer.«
Kapitel 15
11. Oktober 2006, Nekropole von Sakkara
Ehrfürchtig und ängstlich zugleich betrachteten sie die Abbildung auf der Säule. Peter kannte die Geschichte nur zu gut, denn das Totengericht war eine der zentralen Legenden der Religion dieser Kultur, und derlei Mythen hatte er lange genug studiert. Auch Melissa kannte das Totengericht, und sie hatte Patrick davon erzählt.
Die Seele des Toten musste durch zahlreiche Höhlen der Unterwelt wandern und
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