Projekt Wintermond
flagranti mit einem anderen Kerl auf jener Couch, die er ihr bei Macy’s gekauft hatte, weil sie Ellen so gefiel. Mark hatte für das gute Stück ein halbes Monatsgehalt hingeblättert, um ihr eine Freude zu machen.
Und jetzt stand er bebend vor Wut und mit Tränen in den Augen da und musste sich beherrschen, nicht seine Glock zu ziehen und den Kerl abzuknallen, der es mit seiner Frau trieb. Plötzlich erkannte er den Typen wieder. Es war der geschniegelte Anwalt aus Ellens Kanzlei, den sie engagiert hatten, sich um die juristische Seite des Hauskaufs zu kümmern. Ein stets grinsender Lackaffe in Armani-Anzügen. Ellen sei eine gute Freundin, hatte er gesagt, und darum kein Honorar verlangt.
Ein Freundschaftsdienst.
Marks Freundschaftsdienst in jener Nacht bestand darin, dass er dem Typen die Schneidezähne ausschlug. Nachdem er den Mistkerl aus dem Haus geworfen und ihm einen Tritt in den Hintern versetzt hatte, stellte er Ellen zur Rede. Sie saß heulend auf der Couch und gestand Mark, dass sie sich seit vier Monaten mit Chad Tate traf.
»Das mit uns beiden war ein Fehler, Mark. Es klappt einfach nicht. Ich lass mich scheiden. Chad will mich heiraten.«
Nach Ellens Geständnis stürmte Mark aus dem Haus, besorgte sich in einem Getränkeshop eine Flasche Scotch, fuhr zu einem Anlegesteg an der Jamaica Bay und ließ sich voll laufen. Irgendwann schlief er ein. Am nächsten Morgen klopfte eine Motorradstreife an die Seitenscheibe seines Wagens. Die Sonne ging gerade auf. Am Pier herrschte Stille. Nur ein paar Möwen kreischten. Als Mark die Scheibe herunterließ, roch der Polizist Marks Fahne und ließ sich den Führerschein zeigen.
»Was tun Sie hier um diese Zeit, Sir?«
Mark reichte ihm den Führerschein und machte zum ersten Mal im Leben schlapp. Schluchzend erzählte er dem wildfremden Mann die Geschichte seiner gescheiterten Ehe.
Schließlich reichte der Polizist ihm den Führerschein zurück. »Dann tun Sie sich jetzt selbst einen Gefallen«, sagt er. »Schließen Sie den Wagen ab, schlafen Sie Ihren Rausch aus, und suchen Sie sich einen guten Scheidungsanwalt.«
Mark suchte sich keinen Scheidungsanwalt. Stattdessen bemühte er sich, ihre Beziehung zu retten. Doch nach dem Seitensprung Ellens schleppte sich die Ehe mehr schlecht als recht noch zwei Monate hin. Alle Versuche, die Ehe zu retten, scheiterten. Ellen und Mark schrien sich pausenlos an und warfen sich gegenseitig Beschuldigungen an den Kopf. Nachdem Ellen eines Tages im Frühjahr das Haus verließ und nicht mehr zurückkehrte, reichte Mark die Scheidung ein.
Vergiss Ellen. Das ist Vergangenheit. Ich habe dieser Frau schon viel zu viele Tränen nachgeweint. Es reicht.
Doch wenn Mark nachts nach Hause kam, sehnte er sich manchmal danach, die Stimme einer Frau zu hören, mit ihr zu reden, Ablenkung zu finden, Zärtlichkeit und Zuneigung. Auch heute war so eine Nacht. Die letzten Tage waren nervenaufreibend gewesen. Der Gedanke an das tote Baby am Flughafen hatte ihn ebenso bestürzt wie Jennifers Schicksal, nur dass er sein Herz nicht immer auf der Zunge trug.
Mark Ryan mochte Jennifer sehr. Sie gehörte zu dem Typ Frau, auf den er stand. Sie hatten sich schon als Kinder gekannt, doch sein Interesse an dem vier Jahre jüngeren Nachbarsmädchen war begrenzt. Ein paar Jahre lang hatten sie sich kaum gesehen, bis zu Marks Vortrag an der Columbia University vor drei Jahren. Jennifer gehörte zu den Zuhörern. Bei einem Kaffee waren sie einander wieder näher gekommen, und ein Jahr lang gingen sie regelmäßig ins Restaurant oder in eine Bar. Allmählich entwickelte sich eine Freundschaft zwischen ihnen – eine Beziehung, die Mark ausgesprochen gut gefiel, denn nach der nervenaufreibenden Scheidung stand ihm nicht der Sinn nach einer festen Partnerschaft. Doch insgeheim hegte er die leise Hoffnung, dass sich später einmal mehr daraus entwickeln könnte.
Nach dem Mord an Jennifers Mutter und der versuchten Vergewaltigung änderte sich ihr Verhältnis jedoch schlagartig. Der Tod ihrer Mutter, die schwere Verletzung ihres Bruders, das Verschwinden ihres Vaters und die am eigenen Leib erlittene Gewalt zerstörten Jennifers Leben. In der Mordnacht rannte sie zum Haus der Ryans. Marks Vater, der das Klopfen an der Tür hörte, eilte die Treppe hinunter und fand Jennifer bewusstlos auf der Veranda. Ryan senior, mit Leib und Seele Polizist, erkannte sofort, dass etwas Schlimmes passiert sein musste. Er ließ Jennifer in der Obhut seiner Frau zurück,
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