Projekt Wintermond
Steppjacke stieg aus. Über seiner Schulter hing eine Nikon-Kamera. Er ging auf den Amerikaner zu und reichte ihm lächelnd die Hand: »Mr McCaul? Mein Name ist Emil Hartz. Ich bin freier Reporter beim Zürich Express.« Er rieb sich die Arme. »Verdammt kalt heute. Vielleicht hätten wir uns besser an einem wärmeren Ort treffen sollen.«
Hartz sprach sehr gut Englisch, wenn auch mit starkem Akzent.
McCaul zuckte mit den Schultern. »Sie sagten, Sie wollten ein paar Bilder neben einer Gletscherspalte schießen?«
»Ja. Dieser Ort eignet sich hervorragend. Wenn’s nicht so bitterkalt wäre.«
»Sie sollten mal mitten im Winter herkommen«, entgegnete McCaul. »Dann würden sich hier sogar die Polarbären den Hintern abfrieren.«
Der hoch gewachsene Mann mit der Brille grinste. Er hatte dickes schwarzes Haar, das bei näherer Betrachtung wie eine billige Perücke aussah. McCaul zuckte mit den Schultern. »Was genau haben Sie vor?«
Hartz lächelte. »Da der Zutritt zum Gletscher gesperrt ist, dachte ich, wir könnten vielleicht da vorn auf dem Eis ein paar Bilder von Ihnen machen. Die Leser werden den Unterschied gar nicht bemerken.«
Er zeigte auf das Ende des Gletschers: Ein dicker Panzer aus schimmerndem Eis führte bis zur Kante eines Furcht erregenden Abgrunds, der tausend Meter tief ins Furka-Tal abfiel.
»He, das ist ganz schön gefährlich! Und ich hab nichts dabei, um mich zu sichern.«
Hartz lächelte. »Sie müssen ja nicht bis zum Rand gehen. Ich will den Lesern bloß ein dramatisch aussehendes Foto bieten. Ich sehe die Bildunterschrift schon vor mir: >Der amerikanische Bergsteiger Chuck McCaul, der die Leiche in den blauen Tiefen der Gletscherspalte fand.< Kommen Sie schon, das werden tolle Aufnahmen.«
McCaul dachte kurz nach. »Okay«, sagte er dann. »Wie sieht’s mit dem Honorar aus, von dem Sie gesprochen haben, als Sie mich im Hotel anriefen?«
Hartz zog lächelnd einen Notizblock aus der Tasche.
»Darüber können wir später reden. Ist Ihnen an dem Mann, den Sie gefunden haben, irgendetwas aufgefallen?«
»Er war tot.«
Hartz schob die Unterlippe vor. »Ich meine, ob Ihnen an der Leiche etwas aufgefallen ist?«
»Ich hab sie nicht genau gesehen. Sie lag im Eis.«
»Hat die Polizei etwas bei dem Toten gefunden? Papiere? Dokumente?«
»Keine Ahnung. Ich weiß nur, dass er Paul March hieß. Sie mussten erst warten, bis der Typ aufgetaut war, bevor sie seine Taschen und seine Kleidung durchsuchen konnten… ach ja, neben der Leiche lag ein Rucksack in der Gletscherspalte.«
Hartz horchte auf. »Weiter.«
»In dem Rucksack lagen Papiere und eine Pistole.«
»Ah, ja.« Hartz machte sich stirnrunzelnd Notizen. »Was waren das für Papiere?«
»Ein Reisepass auf den Namen des Toten. Paul March.«
»Das war alles?«
»Ein paar Klamotten waren auch noch drin, glaube ich. Der ermittelnde Beamte, commissario Caruso, kann Ihnen sicher mehr dazu sagen.«
»Ist Ihnen sonst noch etwas aufgefallen?«
»Nein. Ich hab Ihnen doch gesagt, dass die Leiche im Gletscher eingefroren war.«
»Gut. Jetzt noch für unsere Unterlagen, Mr McCaul. Wie alt sind Sie?«
»Einundzwanzig.«
»Wo wohnen Sie?«
»New York.«
»Und Ihre Adresse? Damit ich Ihnen eine Kopie des Artikels schicken kann.«
McCaul nannte ihm die Anschrift. Hartz lächelte. »Ich war schon oft in New York. Eine fantastische Stadt. Leben Sie bei Ihren Eltern?«
»Bei meinem Vater.«
»Ist er auch Bergsteiger?«
»Nein, Privatdetektiv.«
»Interessant.« Hartz steckte seinen Block in die Tasche.
»Okay, machen wir die Fotos.«
McCaul folgte Hartz an den Rand des Abgrunds. Der Fotoreporter überprüfte die Einstellungen seiner Nikon. Die Sonne ging allmählich unter. Die Schneeberge sahen um diese Uhrzeit beinahe gespenstisch aus. Nur der Horizont war jetzt noch rötlich gefärbt. McCaul fühlte sich nicht ganz wohl in seiner Haut, so nahe am Abgrund zu stehen; der Sturz in die Gletscherspalte hatte ihm einen ziemlichen Schock versetzt, von dem er sich erst erholen musste, bevor er wieder unbefangen und ohne Furcht bergsteigen konnte. Nur fünf Meter hinter ihm fiel das gefrorene Gletschereis bis auf den tiefen Grund des Passes.
Verdammt. Wenn du ausrutschst, ist es vorbei.
McCaul hatte kein Verlangen, sich dem Abgrund auch nur noch einen Zentimeter weiter zu nähern. »Ist es hier okay?«
»Perfekt. Zeigen Sie jetzt in die Tiefe, als wäre es die Gletscherspalte.« Hartz schoss ein paar Bilder. »Gehen Sie jetzt ein
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