Projekt Wintermond
winkte ihr zu. Er sah besorgt aus. Jennifer wurde das Gefühl nicht los, dass er ihr etwas verheimlichte.
Auf dem Weg nach Long Beach beschloss sie, nicht nach Hause zu fahren, sondern nach Cove End. Ihr letzter Besuch lag schon drei Monate zurück. Es wurde höchste Zeit, dort wieder einmal nach dem Rechten zu sehen.
Sie parkte in der Einfahrt neben dem Haus und spazierte am Küchenfenster vorbei durch den Garten zum Bootssteg. Vor dem Bootshaus blieb sie stehen und schaute aufs Haus. Der Rasen musste dringend gemäht werden, und die Dachrinne hatte sich an einer Stelle gelöst. Doch davon abgesehen war das Grundstück in gutem Zustand. Und da nun feststand, dass ihr Vater nie mehr zurückkehrte, musste sie sich bald mit dem Verkauf des Hauses beschäftigen.
Hier leben zu viele Geister aus der Vergangenheit.
Die See war ruhig. Jennifer rüttelte an der Tür des Bootshauses. Sie war verschlossen. Sie spähte durch das schmutzige, von Spinnweben bedeckte Fenster auf das blau-weiße Motorboot ihres Vaters, mehrere verrostete Ölfässer und die Regale mit dem Werkzeug und den Ersatzteilen. Die Gedanken an ihren Vater versetzten ihr einen Stich. Nach einer Weile wandte sie sich ab und setzte sich auf den Steg.
Siehst du den hellen Stern dort, Jennifer? Das ist Sirius. Und da ist der Polarstern.
Jennifer erinnerte sich schmerzlich an das Pochen der Schritte ihres Vaters auf dem Steg. Sie schloss die Augen, biss sich auf die Lippe. Jetzt musste sie sich endgültig damit abfinden, dass ihr Vater nie mehr zurückkehrte. Nie mehr. Dabei vermisste sie ihn bis zum heutigen Tag schmerzlich.
Den Tränen nahe, schlug Jennifer wieder die Augen auf und erhob sich. Sobald sie aus Europa zurückgekehrt war, würde sie Cove End zum Verkauf anbieten und versuchen, sich endlich von der Vergangenheit zu lösen.
Lou Garuda war ziemlich betrunken, nachdem er sich fünf Jamieson’s und drei Budweiser genehmigt hatte.
Garuda war Polizist, ein gut aussehender Bursche spanischer Herkunft mit den langen Haaren eines Rockstars. Ihm haftete der Ruf eines Schürzenjägers an. Auf der Wache spotteten die Kollegen, er trüge Hosen mit Klettverschluss, weil er mindestens sechs Mal am Tag Sex brauchte.
In der Bar an der East Side war zwischen siebzehn und achtzehn Uhr Happy Hour. Sämtliche Drinks kosteten nur die Hälfte. Das allein schon machte Lou Garuda glücklich; die Krönung aber waren drei Stripperinnen, die auf der Bar zu Rockmusik tanzten. Eine dunkle Schönheit aus Puerto Rico und zwei Blondinen präsentierten den frühen Gästen ihre samtige Haut. Das Publikum bestand größtenteils aus Männern zwischen dreißig und vierzig, die gemütlich ein paar Bierchen trinken und den Mädchen einen Dollarschein unters Strumpfband schieben wollten.
Garuda schwebte nach einem weiteren Drink im siebten Himmel. Das braunhäutige Mädchen aus Puerto Rico tanzte nun genau vor ihm und lächelte zu ihm hinunter, wackelte mit dem knackigen Po und dem Busen und schaute ihm in die Augen, damit er ein paar Dollar locker machte. Am Rand der Theke standen Schalen mit Nüssen und anderen Knabbereien, die es kostenlos zu den Drinks gab. Garuda stopfte sich eine Hand voll in den Mund.
Der achtunddreißigjährige Polizist gab sich seit einigen Jahren dem Suff hin. Das erklärte auch, warum er nicht mehr bei der Mordkommission beschäftigt war, sondern als einfacher Polizist im Innendienst arbeitete. Den lieben langen Tag schob er Akten hin und her und langweilte sich zu Tode.
Er bemerkte Mark Ryan erst, als der ehemalige Kollege ihm freundschaftlich auf die Schulter klopfte. »Hallo, Lou. Lange nicht gesehen. Was macht die Kunst?«
Garuda drehte sich um und begrüßte Ryan, der ihn freundlich anlächelte. Sie kannten sich aus alten Zeiten, als sie beide ein Jahr lang zusammen Streife gegangen waren. Eine richtige Freundschaft war zwischen ihnen zwar nicht entstanden, aber Mark war ein netter Kerl und zuverlässiger Partner gewesen. Lou hatte wirklich schon bessere Tage gesehen.
»Nichts Neues«, sagte er nun grinsend. »Und du hast tatsächlich mal den Weg in diese Kneipe gefunden?«
»Klar, Mann.« Ryan beugte sich vor, ergriff Garudas Glas und schnüffelte daran. »Lass mich raten. Jamieson’s?«
»Du kennst dich aus.«
»Weil es meinen alten Herrn umgebracht hat. Leberzirrhose. Keine besonders elegante Art, sich zu verabschieden.« Ryan stellte das Glas wieder hin. »Du solltest mit dem Saufen aufhören, Lou. Ich mach mir Sorgen um
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