Projekt Wintermond
Tunnels.
»Dieser Tunnel stammt aus der Zeit Napoleons, als die Franzosen in dieses Gebiet einfielen«, erklärte Angelo.
»Ein Fluchtweg, der für den Fall eines Angriffs auf das Kloster gebaut wurde, heißt es.« Angelo wandte sich von dem Thron ab. »Aber wir sind nicht in die Kellergewölbe gegangen, damit ich Ihnen Vorträge halte.«
Vor einer schweren Eichentür, die sich im Lauf der Zeit schwarz gefärbt hatte, blieben sie stehen. Angelo schloss die Tür auf. Sie betraten einen großen Raum mit hohen Steinwänden, gewölbten Decken und einem Lesepult in der Mitte. An den Wänden standen massive Holzregale. Die Böden hatten sich unter dem Gewicht der alten Bücher und Pergamentbündel mit den Wachssiegeln ein wenig durchgebogen. Vater Angelo wies den jungen Mönch an, die Regale zu beleuchten. »Pater Leopold ist unser Abt. Seine alten Journale werden in dieser unterirdischen Bibliothek aufbewahrt.«
Angelo stieg auf eine Trittleiter und suchte in den Regalen, bis er ein paar gebundene Journale fand. Er legte sie aufs Pult, zog eine Lesebrille unter seiner Kutte hervor und setzte sie auf. »Vor zwei Jahren, sagten Sie? In welchem Monat?«
»Im April. Um den Fünfzehnten herum.«
»Das ist mit Sicherheit die reinste Zeitverschwendung«, brummte Angelo verärgert. Er schlug eines der Journale auf und blätterte die Seiten durch.
29
Mark fuhr aus dem Schlaf hoch. Die Kopfschmerzen hatten sich zum Glück gelegt. Dennoch fühlte er sich wie zerschlagen. Krachende Donnerschläge zerrissen die Stille. Das Unwetter musste ihn geweckt haben. Er schwitzte. Das Krankenhaushemd klebte ihm auf der Haut.
Plötzlich erinnerte er sich wieder. Nachdem Kelso gegangen war, hatte die Krankenschwester ihm ein Mittel gegeben, und kurz darauf war er in unruhigen Schlaf gesunken. Nun wischte er sich den Schweiß von der Stirn und tastete nach der Uhr auf dem Nachttisch: 7.30. Er hatte zwei Stunden geschlafen.
Vorsichtig stieg er aus dem Bett und nahm seine Kleidung aus dem Spind. Er musste Jennifer suchen. Die Ungewissheit trieb ihn in den Wahnsinn. Er zog die Hose an, schlüpfte in die Schuhe und wollte gerade das Hemd anziehen, als Kelso die Tür öffnete. »Haben Sie was vor, Ryan?«
»Was geht Sie das an?«
»Es scheint Ihnen besser zu gehen. Freut mich.«
»Mir reicht’s, Kelso. Ich verschwinde von hier.«
»Wo wollen Sie hin?«
»Darüber denke ich später nach.« Mark zog sein Hemd an. »Haben Sie Jennifer schon gefunden?«
Kelso schloss seufzend die Tür. »Setzen Sie sich, Ryan. Wir müssen reden.«
»Ich wüsste nicht, worüber. Es sei denn, Sie haben Jennifer gefunden.«
»Nein, habe ich nicht. Aber es gibt interessante Neuigkeiten über unseren Freund McCaul.«
Mark ließ die Arme sinken. »Ich höre.«
»Der Vater des jungen Mannes, der am Furkapass starb, heißt tatsächlich McCaul. Er ist am Dienstag in die Schweiz geflogen, um den Leichnam seines Sohnes zu identifizieren. Seine Angaben über seine Person scheinen der Wahrheit zu entsprechen. Früher hat er als Detective bei der New Yorker Polizei gearbeitet.«
»Ich hab noch nie von ihm gehört.«
»Ich habe mir aus New York ein Foto von ihm mailen lassen. Sehen Sie es sich bitte mal an.« Kelso zog einen Umschlag aus der Tasche und öffnete ihn. »Ist das der Mann, den Sie in Jennifers Begleitung gesehen haben?«
Mark blickte auf das ausgedruckte Farbfoto, das McCauls Gesicht zeigte. Ein attraktiver Mann. Ein Frauentyp. Würde Jennifer sich zu diesem Burschen hingezogen fühlen? Vermutlich. Marks Eifersucht regte sich. »Sieht so aus«, sagte er.
Kelso steckte das Foto zurück in den Umschlag. »Zumindest wissen wir jetzt, dass Jennifer nicht in unmittelbarer Gefahr schwebt.«
»Warum sind Sie sich da so sicher?«
»Unseren Informationen zufolge kann dieser McCaul gut auf sich allein aufpassen. Er ist Privatdetektiv, nach Aussage der New Yorker Kripo ein verdammt guter. Zuerst dachte ich, der Bursche würde unsere Ermittlungen behindern. Aber wenn ich es genau bedenke, ist Jennifer bei ihm in Sicherheit, bis wir für ihren Schutz sorgen können.«
»Wie Sie meinen«, erwiderte Mark gleichgültig.
»Sie sind wohl eifersüchtig, was?«, fragte Kelso mit einem Grinsen.
Mark ging nicht auf die Frage ein und knöpfte den letzten Hemdknopf zu. »Es war nett, Sie kennen gelernt zu haben, Kelso.«
»Wo wollen Sie hin?«
»Das habe ich Ihnen doch schon gesagt. Wenn Sie mir nicht endlich reinen Wein einschenken, verschwinde ich von
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