Projekt Wintermond
kann ich Ihnen nicht genau sagen. Aber eins steht fest: Wenn ich der Polizei sage, dass es in Ihrem Kloster Informationen gibt, die für die Ermittlungen von Bedeutung sind, werden die Beamten hier alles auf den Kopf stellen.«
»Das ist absurd«, brummte der Mönch. »Wir sind schlichte Glaubensbrüder und haben nichts Unrechtes getan. Aus welchem Grund sollte die Polizei sich bei uns umsehen?«
Jennifer nahm die Sturmlaterne vom Tisch und stand entschlossen auf. »Das ist nicht so leicht zu erklären, Vater. Sie würden uns für verrückt halten. Wenn Sie uns helfen, werde ich die Polizei heute Nacht aus dem Spiel lassen. Stattdessen werde ich versuchen, Ihnen zu erklären, was uns hierher geführt hat.«
Jennifer und McCaul folgten Vater Angelo die Wendeltreppe in den Klosterkeller hinunter. Der junge Mönch, der sie am Tor begrüßt hatte, ging mit zwei Laternen voraus. Angelo verzog mürrisch das Gesicht. Jennifer hielt es für besser, ihn abzulenken. »Erzählen Sie mir etwas über das Kloster, Vater.«
»Was soll es da zu erzählen geben?«, erwiderte Angelo mit einem Achselzucken. »Hier leben nur drei Mönche und ein Abt. Bruder Paulo ist unser Novize. Vier Geistliche können ein so altes Kloster kaum in Stand halten. Vor vielen Jahren herrschte hier noch reges Treiben. Unsere kleine Kirche war sehr berühmt.«
»Warum?«
»Vor allem aufgrund dieser Kellergewölbe. Sie befinden sich genau unter der Kirche.«
»Was ist so Besonderes daran?«, fragte Jennifer.
»Das werden Sie gleich sehen.«
Unten an der Treppe war eine alte Eichentür mit einem dicken, verrosteten Schloss. Von einem Nagel neben der Tür zog Angelo einen großen Schlüssel, schob ihn ins Schlüsselloch und drückte gegen die schwere Tür, die sich knarrend öffnete. Eine Treppe führte hinunter zu einem Gang, auf dessen beiden Seiten Bogengänge verliefen. Alles war in Dunkelheit getaucht.
»Das Kloster der Dornenkrone hat eine interessante Geschichte«, fuhr Angelo fort. »Dieser Teil des Gebäudes ist besonders faszinierend. Ich muss Sie aber warnen. Was Sie sehen werden, könnte Sie schockieren – wie schon viele Besucher vor Ihnen. Zeig es ihnen, Bruder Paulo.«
Der junge Mönch hob die Laterne. Jennifer schaute sich um. Dieser Teil der Klosterkeller bestand grösstenteils aus unterirdischen Totengrüften. Ringsum sah man nichts als die Knochen der Toten: Rippen, Hände, Füße, Oberschenkel- und Schienbeinknochen waren in den Bogengängen und den Wänden einzementiert. Oben in den Ecken hingen Schädel. Am schlimmsten war der Anblick der Leichen, die zum Teil lagen, saßen oder an Metallhaken hingen. Einige Tote waren mumifiziert und mit verschrumpelter Haut überzogen. Einige hatten sogar Augen und Zähne; an anderen Körpern hingen die verrotteten Reste ihrer Kleidung.
»Du lieber Himmel, was ist denn das?«, fragte McCaul entsetzt.
»Das sind Mönche unseres Ordens«, erklärte Vater Angelo.
Das Gespräch über das Kloster hellte seine Stimmung ein wenig auf. »Und reiche Adelige mit ihren Familien, die im Laufe der Jahre hier begraben werden wollten. Ähnlich sieht es in den Katakomben auf Sizilien und in Rom aus. Der Abt, der das Kloster gegründet hat, stammte aus Palermo und nahm sich zum Ziel, die Tradition fortzuführen.«
Die sterblichen Überreste eines jungen Mädchens in einem Spitzenkleid hingen an einem Haken an der Wand. Jennifer schauderte. Die Finsternis in den Katakomben wirkte schaurig und beängstigend. Der Tod war hier zum Greifen nahe. Sie gingen an einem alten Thron aus verblichenem weißen Marmor vorbei. Er hing seltsam verkantet an Scharnieren in einer Ecke, als würde er in der Luft schweben. Eine verweste Gestalt in einer alten Zisterzienserrobe saß auf dem Thron. Die leeren Augenhöhlen starrten unter der Kapuze hervor.
»Das ist Pater Bonifazius. Er war Anfang des achtzehnten Jahrhunderts unser Prior. Ein heiliger, gottesfürchtiger Mann. Und der Hüter eines seit langer Zeit vergessenen Geheimnisses.«
»Was meinen Sie damit?«, fragte Jennifer.
»Werfen Sie mal einen Blick hinter den Thron«, forderte Angelo sie auf. Der junge Mönch näherte sich mit den Laternen der Wand. McCaul und Jennifer betrachteten die uralten Scharniere auf der Rückseite des Marmorthrones, die vollkommen verrostet waren und sich mit Sicherheit seit einer Ewigkeit nicht mehr bewegen ließen. Zwischen der Wand und der Rückseite des Thrones war ein großes Loch – das Ende eines unterirdischen
Weitere Kostenlose Bücher