Projekt Wintermond
vergessen.«
»War er Schweizer? Oder Italiener?«
»Weder noch. Ein Ausländer. Ich glaube, er sprach Englisch.«
Jennifer öffnete ihre Tasche. Ihre Hände zitterten, als sie Angelo das Bild ihres Vaters zeigte. »War es dieser Mann?«
Angelo betrachtete das Bild. »Schwer zu sagen. Es ist immerhin zwei Jahre her .«
»Denken Sie in Ruhe darüber nach. Bitte.«
Angelo schaute wieder auf das Bild. Schließlich reichte er es ihr mit einem Achselzucken zurück. »Vielleicht war es der Mann, aber sicher bin ich mir nicht.«
»Haben Sie eine Idee, wer der Mann gewesen sein könnte?«
Angelo verlor nun endgültig die Geduld. »Irgendjemand, der von dem Unwetter überrascht wurde. Darauf deuteten auch seine Verletzungen hin. Der Mann kam nicht am Fünfzehnten, sondern fünf Tage später hierher. Es könnte sich um eine ganz andere Person handeln. Sind wir jetzt endlich fertig?«
»Steht noch etwas über ihn in dem Journal?«
»Signorina, bitte. Meine Geduld ist aufgebraucht.«
Angelo schickte sich an, das Journal zuzuklappen.
»Vater, sehen Sie bitte nach!«
Vater Angelo, dem die Zornesröte in die Wangen stieg, stutzte, als er erneut ins Journal schaute. »Hm, da steht etwas. Der Mann verließ uns zwei Tage später, am zweiundzwanzigsten April. Der Abt brachte ihn zum Bahnhof.«
»Wohin ist er gefahren?«
»Ich habe wirklich keine Ahnung.« Der Priester schlug das Journal zu. »Sie haben mir eine Erklärung versprochen.«
»Der Reisepass, der bei dem Toten gefunden wurde, lautet auf den Namen Paul March. Das ist der Name meines Vaters. Er verschwand vor zwei Jahren spurlos. Der Reisepass gehörte ihm, aber der Tote, den ich identifiziert habe, war nicht mein Vater.«
»Wer war es dann?«
»Das weiß ich nicht. Ich habe den Mann noch nie im Leben gesehen.«
Angelo war sichtlich verwirrt. Er nahm die Brille ab und sagte freundlich: »Sehr seltsam. Das Verschwinden Ihres Vater muss ein herber Schlag für Sie gewesen sein, mein Kind.«
Kann man wohl sagen, dachte Jennifer.
Angelo stellte die Journale zurück ins Regal. »Kommen Sie.
Ich führe Sie hinauf ins Kloster.«
Sie verließen die unterirdischen Gewölbe und stiegen die Steintreppe hinauf. Der junge Mönch ging mit den Laternen voraus. In der Eingangshalle öffnete Angelo eine der Türen. Draußen wütete immer noch das Unwetter. Regen prasselte, Wind heulte, und krachende Donnerschläge wetterten zwischen den Bergen. »Wo übernachten Sie heute?«
»Wir wollten uns in Varzo ein Zimmer suchen«, erwiderte McCaul.
»In dem Ort gibt es kaum Unterkünfte.« Angelo schaute durchs Fenster in den Regen. Ein Blitz erhellte den Gang mit flackerndem Licht. »Bei dem Wetter jagt man keinen Hund vor die Tür. Es wäre besser, wenn Sie im Kloster übernachten. Unsere Gästezimmer sind schlicht, aber bequem. Wenn Sie möchten, können Sie bei uns bleiben. Sie sind herzlich willkommen.«
»Das ist sehr freundlich, Vater.«
Angelo schloss die Tür. »Bruder Paulo zeigt Ihnen die Räume.«
»Fällt Ihnen sonst noch etwas zu dem Mann ein, Vater?«
»Ich fürchte, nein. Als es ihm ein wenig besser ging, hatte er es sehr eilig, uns wieder zu verlassen.«
»Da wäre noch etwas. Gibt es hier in der Gegend einen Berg Edelweiß?« Jennifer faltete den Zettel mit ihrer Notiz auseinander: G. Vogel. Berg Edelweiß 705.
»Was bedeutet das?«, fragte Angelo mit Blick auf den Zettel.
»Eine solche Notiz wurde in den Taschen des Toten gefunden. Wir wissen nicht, was die Namen und die Zahl zu sagen haben. Der Zettel war nicht vollständig erhalten. Ein paar Ziffern fehlen.«
Angelo rieb sich das Kinn. »Vogel ist auf der Schweizer Seite des Wasenhorns und in der Gegend von Brig ein sehr geläufiger Familienname. Einen Berg mit Namen Edelweiß gibt es meines Wissens nicht, jedenfalls nicht in diesem Teil der Alpen.« Angelo reichte Jennifer den Zettel zurück. »Aber jetzt wird es Zeit, dass ich mich verabschiede. Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht.«
Vater Angelo nahm eine Laterne und ging davon. Der junge Mönch führte Jennifer und McCaul im Licht der anderen Laterne über den mit Steinplatten ausgelegten Gang, an dem sich zu beiden Seiten zahlreiche Eichentüren befanden. Er zeigte ihnen zwei winzige, nebeneinander liegende Räume mit kleinen, hohen Fenstern. An den weißen Wänden hingen Kruzifixe aus Holz. Jedes Zimmer war mit einem Holzstuhl, einem Nachttisch, einem zusammengeklappten Feldbett und einem einfachen Bad ausgestattet. »Momento, prego.«
Der
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