Promenadendeck
viel Zeit, um zu üben, die Gewehre kennenzulernen und sich einzuschießen. Für den Fachmann hat nämlich jedes Gewehr sein Eigenleben und seinen individuellen ›Schußcharakter‹.
Es war also selbstverständlich, daß Knut de Jongh sich zum Tontaubenschießen gemeldet hatte. Mit großer Spannung wartete er darauf, wer von den Passagieren sich noch zutraute, die wegzischenden Scheiben im blauen Himmel zerplatzen zu lassen. In weißer Hose und mit weißem Hemd, durch das sich seine enormen Muskeln drückten, eine Mütze mit langem Schirm gegen die Blendung auf dem Kopf, lehnte de Jongh an der Reling, nahm dann jedes der vier Gewehre in die Hand, schaute durch den Lauf, wog es in den Händen und blickte über Kimme und Korn in den Himmel. Verblüfft legte er das letzte Gewehr auf einen Klapptisch, als die anderen Teilnehmer die Treppe herunterkamen.
An der Spitze ging der Prinz, der sich Herr v. Haller nannte – in weißen Schuhen, blauer Hose, weißem Hemd und mit einer Kappe, auf der vorne irgendein Wappen gestickt war. Trotz seiner dreiundsiebzig Jahre und einer gewissen Trotteligkeit, die sich in seinem tastenden Gang ausdrückte, war es ihm ein Bedürfnis, seine Schießkunst zu demonstrieren. Außerdem sah Hermi, die Stewardeß, seine heimlich Auserwählte, die heute Deckdienst hatte, vom Sonnendeck aus zu, und es kam ihm darauf an zu zeigen, daß sein Auge gut und seine Hand noch nicht zittrig war. Juliane Herbitina, die Prinzessin, machte unterdessen auf der verglasten Veranda einen Hobbykurs für Maler mit, den die Hosteß Bianca leitete. Das begonnene Aquarell zeigte eine große Begabung der Prinzessin in Richtung Franz Marc. Sie verwandte viele Blautöne.
Dem Prinzen folgten der Optiker Brandes, der Weinhändler Tatarani, zwei andere Herren, die de Jongh nur einmal gesehen hatte, weil sie sich immer abseits hielten, die beiden homosexuellen Freunde und natürlich auch François de Angeli. Falls der gewinnen sollte, war er sich des Beifalls einiger Damen sicher, aber auch des vermehrten Hasses ihrer Ehemänner. Als letzter hüpfte Hans Fehringer die Treppe herunter. Knut de Jongh kniff die Augen zusammen und kam auf ihn zu.
»Haben Sie sich nicht geirrt?« fragte er gepreßt. »Die Tontauben werden eine Treppe tiefer abgeschossen. Sie wollten sich doch abschießen lassen, was?«
»Sehr witzig!« Hans Fehringer grinste breit. »Wenn Sie fünf treffen, gebe ich einen aus.«
»Und wenn ich zehn treffe, darf ich Sie in den Arsch treten?!«
»Abgemacht! Was bieten Sie dagegen, wenn ich Sie besiege?«
De Jongh stutzte einen Augenblick, dann blinzelte er wieder mit den Augen. »Was schlagen Sie vor? Was es auch sei … ich sage ja.«
»Wenn Sie wüßten, was ich jetzt denke, zögen Sie Ihr Angebot sofort zurück.« Er warf einen Blick hinaus aufs Sonnendeck, aber Sylvia war nicht zu sehen. Sie war in das Schwimmbecken gestiegen, als Hans an ihr vorbeigegangen war und ihr zugeflüstert hatte: »Jetzt werde ich deinen Mann kleinkriegen! Im Tontaubenschießen macht mir keiner was vor.« Sie hatte Angst – das Duell der Männer war nun bereits öffentlich geworden. Die Lage spitzte sich zu. In der vergangenen Nacht hatte sie sich zum erstenmal geweigert, als Knut zärtlich zu ihr werden wollte. Sie hatte ihn sogar mit beiden Händen weggestoßen. »Laß mich!« hatte sie gesagt. »Rühr mich nicht an! Ich schreie, daß alles zusammenläuft. Heute widerst du mich an. Laß mich bloß in Ruhe, du …« Sie war noch immer erregt von Fehringers Leidenschaft und konnte es nicht ertragen, jetzt die sichtbare Lust ihres Mannes ansehen zu müssen.
De Jongh hatte tatsächlich kapituliert, aber noch vor dem Einschlafen gesagt: »Wenn ich dich mit diesem blonden Schönling erwische, kannst du was erleben. Und wenn er dich wieder zum Tanzen holt, schlage ich ihn quer durch den Saal! Ist das klar?«
Sie hatte stumm genickt; es war völlig sinnlos, in dieser Situation mit ihm zu reden.
»An was denken Sie denn?« knurrte de Jongh jetzt und musterte Hans Fehringer, als sei er zum Abschuß freigegeben. »Spucken Sie's schon aus! Wen suchen Sie denn oben an der Reling?«
»Lassen wir das!« Fehringer winkte ab und ging an de Jongh vorbei zu den Gewehren und den anderen Schießrivalen. Die Herren begrüßten sich mit Handschlag, als kämen sie als Boxer in den Ring. Knut de Jongh atmete tief durch und ging ihm nach. Er muß es sein, der Sylvia so verändert hat, dachte er grimmig. Wer sonst? Aber was kann ich ihm
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