Promijagd
Grunewald, aber alle werden wissen, wer damit gemeint ist.«
Mägdesprung hatte keine andere Wahl, als Völlenklee den prall gefüllten Umschlag in die Hand zu drücken, alles andere wäre Selbstmord gewesen.
»Danke.« Völlenklee ließ das Geld in seinem Rucksack verschwinden.
»Glauben Sie nicht, dass das ewig so weitergeht«, sagte Mägdesprung.
Völlenklee grinste. »Das Leben ist ein Pokerspiel, und mal sehen, wer es besser beherrscht.«
*
Corinna Natschinski stand vor ihrer Staffelei und war verzweifelt, weil sie mit ihrem Borderline-Zyklus nicht vorankam. Was sie bis gerade eben zu ›ganz und gar‹ auf die Leinwand gebracht hatte, sah ihr viel zu harmonisch aus. Vielleicht sollte sie mal eine Pause einlegen und sich ein anderes Thema vornehmen. Was sie in letzter Zeit am meisten fasziniert hatte, war ein Artikel im Berliner Tagesspiegel über ›Aliens aus Säure und Silizium‹. Astrobiologen spekulierten darüber, dass auf anderen Planeten beim Entstehen von Leben andere Flüssigkeiten die Rolle des Wassers übernehmen könnten, von Schwefelsäure über Wasserstoffperoxid und Methan bis hin zu flüssigem Kohlenstoff. Besonders Silizium sei in der Lage, lange Molekülketten zu bilden. Im Inneren von Sternen seien Plasboide denkbar, Lebewesen aus komplexen Magnetfeldern und Strömungen elektrisch geladener Teilchen. Es könne Lebewesen geben, die zu klein oder zu groß sind, um von uns wahrgenommen zu werden. Wenn es ihr gelang, dies alles in Farben und Formen umzusetzen, und sie anschließend noch mit dem Geld, das sie aus den Erpressungen einnahmen, eine eigene Galerie aufmachen konnte, dann war sie endlich da, wo sie schon lange sein wollte.
In diesem Augenblick fiel ihr wieder ein, dass sie ja losziehen sollte, um bei Maik Bulkowski abzukassieren, dem Kugelstoßer. Sie hatten ihn auf dem Trainingsplatz aufsuchen wollen, doch da hieß es, er würde ein paar Tage Urlaub machen und auf seinem Motorboot zu finden sein, das in Kladow an der Imchenallee an einem Steg liegen würde. Infolgedessen machte sie sich auf den Weg in eine der entlegensten Ecken Berlins. Ein Blick in den Stadtatlas zeigte ihr, dass man mit dem Schnellbus vom S-Bahnhof Messe Nord/ICC, also Witzleben, nach Kladow kam, aber auch mit dem normalen Bus vom Bahnhof Spandau. Das war alles sehr umständlich, da Kladow weder an das U-Bahn- noch das S-Bahnnetz angeschlossen war. Zum Glück fiel ihr noch ein, dass man auch mit der Fähre von Wannsee nach Kladow kam, und das war ja immerhin eine Dampferfahrt, wenn auch mit nur 20 Minuten eine recht kurze. Vom Südstern kam man mit der U7 bis zur Yorckstraße und anschließend ging es weiter mit der S1 ganz gut nach Wannsee raus. Also machte sie sich auf den Weg. Sie fühlte sich wie im Urlaub in einer fremden Stadt, mehr noch, wie in einem neuen Leben. Ein Verbrechen zu begehen, war wie eine Befreiung. Das, was sie jahrelang unterdrückt hatte, brach sich nun endlich Bahn. Sie kam aus ihrem Käfig heraus, streifte ihre Ketten ab. Selbst der Gedanke, gefasst und verurteilt zu werden, erfüllte sie mit Freude: Welch Abenteuer, welche Chance, neue Erfahrungen zu sammeln. Bei den Verhören, vor Gericht, im Knast. Für sie als Künstlerin war das der Quantensprung, auf den sie seit Langem gewartet hatte.
Sie hatte nichts schnupfen oder spritzen müssen, sie war auch ohne Drogen high, während sie langsam über den Wannsee schipperte. In Kladow angekommen, schwebte sie geradezu über den Steg. Danach ging sie die Imchenallee hinunter, um nach Bulkowskis Motorboot Ausschau zu halten. Der Name Allee war ein Witz, da es sich hierbei um einen unbefestigten Uferweg handelte, allerdings einen von solch einer Breite, dass zwei Autos aneinander vorbeikamen. Es staubte wie in der Sahara, da es in Berlin wochenlang nicht richtig geregnet hatte. Links konnte sie über Havel und Wannsee hinweg bis zum Strandbad blicken, dessen Sand und Bauten weit drüben als gelber Strich Wasser und Wald voneinander trennten. Das auf die Leinwand zu bringen, reizte sie, obwohl sie Landschaftsmaler wie Leistikow immer verachtete und mit der Bemerkung ›Wozu haben wir wohl Fotoapparate?‹ abgetan hatte.
Bulkowskis Motorboot sollte Parry heißen, war ihr auf dem Trainingsplatz gesagt worden, benannt nach einer amerikanischen Kugelstoßerlegende. Nach ein paar Minuten hatte Corinna es entdeckt.
*
Leon Völlenklee war abkommandiert worden, bei einem CompWorld-Kunden in der Müllerstraße vor Ort einen
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