Propaganda
eine Fahrt mit der New Yorker U-Bahn, und erst dieser Ausflug in das Alltagsleben eines Arbeiters, in die demokratische Gesellschaft, vermochte noch einmal das Interesse der Öffentlichkeit zu wecken. Wäre er gut beraten worden, hätte er diesen Teil seines Besuchs ausgedehnt und sich viel ernsthafter bemüht, das Leben in Amerika kennenzulernen – wie es ein anderer Prinz, Gustav von Schweden, getan hat.
Als Ergebnis der fehlgesteuerten Propaganda hat der Prince of Wales in den Augen des amerikanischen Volkes nun nicht die Stellung, die er als Verkörperung der Einheit des British Empire tatsächlich einnimmt, sondern er wird vor allem mit Sportvergnügungen auf Long Island und tanzenden Schönheiten im Ballsaal in Verbindung gebracht. Indem es die Bedeutung richtiger Public Relations für seine königliche Hoheit verkannte, hat Großbritannien eine unschätzbare Gelegenheit verpasst, die Beziehungen und das Verständnis zwischen den beiden Ländern zu verbessern.
Öffentliche Auftritte amerikanischer Wirtschaftsbosse werden inszeniert wie Bühnenauftritte. Aber die entsprechenden Gelegenheiten werden so gewählt, dass sie den Mann in seiner Funktion als Repräsentanten des Volkes zeigen und dramatisieren. Der Politiker neigt dazu, eher dem Volk zu folgen, anstatt es zu führen. Darin liegen die Wurzeln für die politische Praxis, manchmal lediglich Versuchsballons zu starten – um den Kontakt zur öffentlichen Meinung nicht zu verlieren, wie der Politiker glaubt.
Ein Politiker hat natürlich seinen Finger am Puls der Gesellschaft und versucht, die kleinsten Regungen und Rhythmusveränderungen im politischen Universum wahrzunehmen.
Oft weiß er allerdings nicht, wie er diese Regungen einschätzen soll – sind sie oberflächlich oder substanziell? Um das herauszufinden, schickt er seinen Versuchsballon los. Vielleicht lässt er die Presse ein Interview veröffentlichen, allerdings nicht unter seinem eigenen Namen. Er wartet anschließend auf das Echo aus der Öffentlichkeit, die sich artikuliert auf Massenversammlungen, in Resolutionen oder per Telegramm, vielleicht sogar in Meinungsartikeln – in Parteiorganen oder der unabhängigen Presse. Je nach Reaktion der Öffentlichkeit macht er sich die vorher anonym formulierte Politik dann offen zu eigen, lässt sie fallen oder modifiziert sie in Einklang mit den Tendenzen, wie sie ihn als Rückmeldung erreicht haben. Es handelt sich um das gleiche Prinzip, wie es im Krieg von Friedensbotschaftern angewandt wird, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie sehr der Feind einem Friedensschluss zugeneigt ist oder zu einem Dutzend anderer Fragen steht. Die Methode ist unter Politikern weit verbreitet und kommt immer dann zum Einsatz, wenn sie in einer politischen Frage Stellung beziehen müssen – und bevor Regierungen sich für eine bestimmte innen- oder außenpolitische Linie entscheiden.
Es gibt wenig gute Gründe, so zu agieren. Wenn ein Politiker eine echte Führungspersönlichkeit ist, wird er die Menschen mithilfe geschickter Propaganda von seiner Linie überzeugen, anstatt der öffentlichen Meinung anhand des plumpen »Versuch-und-lrrtum«-Verfahrens hinterherlaufen zu wollen.
Die Vorgehensweise des Propagandisten ist der eben beschriebenen des Politikers genau entgegengesetzt. Der Kern erfolgreicher Propagandaarbeit besteht eben gerade darin, ein eigenes Ziel zu haben und dieses zu verfolgen, indem man sich genau über die gesellschaftliche Ausgangssituation informiert und ausgehend davon die Umstände so verändert, dass man die Öffentlichkeit beeinflussen und auf seine Seite bringen kann. »Die Funktion eines Staatsmanns«, sagte George Bernard Shaw, »besteht darin, aus dem Willen eines Volkes alles herauszuholen – wie ein Wissenschaftler .«
Der moderne politische Führer muss in den Techniken der Propaganda genauso bewandert sein wie in politischer Ökonomie und sozialen Fragen. Wenn er sich lediglich darauf beschränkt, das durchschnittliche Intelligenzniveau seiner Wählerschaft abzubilden, kann er ebenso gut die Finger von der Politik lassen. Vorausgesetzt, wir haben es mit einer Demokratie zu tun, in der die Herde und die Gruppen denen folgen, die sie als ihre Anführer akzeptieren – warum sollten die jungen Männer, die sich auf kommende Führungsaufgaben vorbereiten, nicht ebenso in Führungstechniken trainiert werden wie in Fragen des Idealismus?
»Wenn der Abstand zwischen der intellektuellen Klasse und der praktischen Klasse zu groß
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